»Oliver Plaschka ist der Magier unter den deutschen Fantasyautoren.«
Christoph Hardebusch
Vornehme Geschäftsleute in einer nachtschwarzen Limousine, ein Schmugglerpärchen mit einem Laster voller gestohlenem Whiskey, ein jugendlicher Waisenjunge aus dem Wilden Westen – sie alle geraten im Hinterland der kalifornischen Küste in einen Sturm, der sie verschlingt. Aber jenseits dieses Orts tut sich ihnen eine fantastische Welt auf.
Keiner der im Sturm Verschollenen ahnt: Sie alle sind Spielball des genialen und exzentrischen Erfinders Ross, der vor zwölf Jahren mit seiner kleinen Tochter in derselben Gegend verschwand. Dort, in der malerischen Wildnis von Big Sur, hat er mithilfe magischer Kräfte die »Welt unter dem Winde« geschaffen, über die er gleich einem König gebietet. Die Gestrandeten geraten in ein Netz aus Intrigen, Erinnerungen und Schuld, fast ohne jede Chance zu entkommen. Eine moderne Fantasygeschichte in der Tradition Neil Gaimans, die Motive aus William Shakespeares »Der Sturm« neu aufleben lässt.
Leseprobe
Die Tür des Hauses öffnete sich, noch
ehe sie sie erreichte.
Caliban stand im Eingang. Sein schwarzes Haar war noch länger geworden seit
ihrem letzten Besuch, seine Haut war ungeachtet der wärmenden Sonne bleich wie
immer. Er trug einen dunklen, samtenen Gehrock, in dem sich die Farben eines
nächtlichen Regenbogens verbargen, über einem schimmernd weißen Hemd. Seine
melancholischen Kohleaugen starrten ihr entgegen, die schmalen Wangen waren
erwartungsvoll gespannt, die blassen Lippen geschürzt. Wie immer wirkte er, als
rechnete er jeden Moment damit, dass der Blitz auch in ihn einschlug.
„Hallo Mira“, sagte er. „Caliban!“, rief sie und fiel ihn um den Hals.
Sie spürte, wie er sich versteifte. Roch seinen Duft, der ähnlich war wie der Ariels,
nach Wind und Meer und unerfüllten Träumen. „Ich dachte, wir sehen uns erst in drei
Nächten.“ „Es ist etwas passiert ... ich
muss mit dir reden.“ Er entspannte sich, vergrub das Gesicht in ihrem Haar.
Dann löste er sich aus ihrer Umarmung und ging ins Haus. „Komm herein.“ Sie folgte ihm nach drinnen.
Der vordere Bereich des Hauses war ein kaltes Treppenhaus finsterer Holzwände und
schwerer Teppiche auf dem Steinboden. Calibans düstere Gemälde an den Wänden schienen
bei jedem Besuch andere undeutliche Schemen zu zeigen, aber immer die gleiche
Sehnsucht. Spiegelsamt schimmerte auf weichen Sesseln. Trotz der dunkel
schillernden Farben und Stoffe wirkte die Eingangshalle auf Mira stets auf
verstörende Art abweisend, verschlossen gar. Nichts darin passte zu dem
Caliban, den sie kannte, und alles wirkte älter als er selbst; es war, als führte
er sie durch eine Ausstellung, die sich ihm selbst nicht erschloss.
„Du bist ja ganz aufgeregt“, stellte er fest.
„Was ist passiert? Sollte sich im Reiche
deines Vaters tatsächlich einmal etwas Unvorhergesehenes ereignet haben?“ „Es sind Leute gekommen!“, platzte es aus ihr
heraus, denn sie hatte keine Zeit für seine Neckereien. „Andere Menschen! Zu uns!“ „Leute?“ Er blieb stehen und wandte sich ihr
stirnrunzelnd zu. „Menschen?“ Der Gedanke
an Besucher musste ihm genauso fremd sein wie ihr. Sie hatten ihr ganzes Leben in
der Welt unter dem Winde verbracht – sie war alles, was sie kannten. Und Mira
und Caliban waren neben Ariel und ihrem Vater die einzigen denkenden Bewohner
dieser Welt. „Sie sind auf dem Weg zu
uns. Glaub mir! Ariel hat es mir gezeigt.“
Seine Miene verfinsterte sich weiter. Sie wusste, Caliban misstraute dem Geist,
weil Ariel ihrem Vater verpflichtet war. „Hat er dich geschickt?“, fragte er. „Ariel?“ „Nein. Erst wollte er es vor mir geheim halten.“
Sie strahlte ihn an. „Dann habe ich ihn
überredet und er hat mir alles erzählt.“ „Und dein Vater?“ Sie seufzte. Wünschte,
Caliban hätte etwas mehr Vertrauen in sie. Es schmerzte sie, dass die einzigen
Gefährten in ihrem Leben einander mit Argwohn begegneten. „Vater wollte nicht, dass ich zu dir gehe – da
bin ich davongelaufen.“ Sie warf die Arme hoch. „Manchmal kann er so stur sein!“ Caliban
presste die Lippen zusammen, schaute unruhig zum Fenster. „Er hasst mich“, murmelte er. „Oh Caliban.“ Sie trat näher und drückte ihn
an sich. „Wieso? Wieso stellt Vater sich
zwischen uns? Immerzu warnt er mich vor dir, als wärst du ein gefährliches Tier.
Wieso? Was ist zwischen euch vorgefallen?“ „Glaub mir, ich hege keinen Groll gegen deinen
Vater. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er mich in Frieden ließe.“ Er
wählte seine Worte mit Bedacht. „Auch
wünschte ich häufig, er würde deine Gedanken nicht ständig beschäftigen. Er ist
ein bitterer Mann und kein freudvolles Thema für mich.“ „Er ist mein Vater.“ Sie biss sich auf die
Lippe. „Aber manchmal kommt es mir so
vor, als wäre ich seine Gefangene. Und ich weiß, dass er dir unrecht tut.“ „Ist das so?“ Er löste sich von ihr und ging
weiter. „Dann hilf mir. Ich bin ganz
allein.“
Mira folgte Caliban durch die rückwärtige Tür der Eingangshalle ins Herz des Hauses.
Sie kannte den Anblick, der sie dort erwartete, seit ihrer Kindheit; doch er
traf sie jedes Mal aufs Neue wie ein vergessener Schmerz. Wind bauschte ihr
Haar, und heller Sonnenschein schlug Mira ins Gesicht, als das Wohnzimmer sich
vor ihr auftat. Es war ein weiter, mit massiven Möbeln und dunklen Wandbehängen
geschmückter Raum, in dem seiner sorgfältigen Staffage zum Trotz eine große,
offene, Wunde klaffte: Denn das Zimmer besaß zwar Boden und Decke, doch nur
drei Wände. Die rückwärtige Wand fehlte – so wie bei allen Zimmern hinter dem Eingangsbereich.
Mira blieb stehen und ließ den Blick über die offenen Räume wandern. Die
Schlucht fuhr direkt durch Calibans Haus: durch Wohnzimmer und Küche im
Erdgeschoss wie durch Schlaf- und Musikzimmer im Obergeschoss und das Studio unter
dem Dach, so als hätte ein riesenhaftes Messer das Haus mitsamt seiner Möbel gleich
einer Torte durchtrennt und beide Hälften separiert, wobei die Schichten der Torte
etwas verrutscht waren und einzustürzen drohten.
Ungeachtet dieser Gefahr setzten sich Räume und Gegenstände auf der anderen Seite
der Schlucht einfach fort. Ein Sofa begann auf der einen Seite und endete auf
der anderen. Hemden wehten aus den offenen Flanken eines zerteilten
Kleiderschranks; eines war gar in der Mitte zerteilt, so dass beide Ärmel auf
ewig durch die Schlucht getrennt waren. Selbst Calibans Bett kannte zwei
Hälften, ebenso sein Klavierflügel, und die Farbtöpfe seines Studios standen
fern der schmetterlingsumtanzten Staffelei. Vögel spielten in dem Rinnsal, das
aus dem halben Spülstein in die Schlucht tropfte.
»Magisch-mystische Fantasy, die die Tragik eines Shakespeare Stückes in sich trägt.«
Stefanie Hochadel, Blog: bellaswonderland, 16.10.2019
»Hier erfährt man Erzählkunst von solcher Genialität, dass es einen glatt umhaut.«
Susann Fleischer, literaturmarkt.info, 14.10.2019
»Oliver Plaschka gehört zu den Autoren, die weit abseits des Üblichen unterwegs sind.«
Carsten Kuhr, phantastiknews.de, 05.10.2019
»Bildgewaltiger geht es eigentlich gar nicht mehr. Mit "Der Wächter der Winde" ist dem Autor ein weiteres Mal ein ganz außergewöhnliches Werk gelungen, bei dem es lohnt, sich mit viel Ruhe und Muße auf die Geschichte einzulassen.«
Daniel Bauerfeld, nautilus fanatsymagazin, 30.09.2019