Ein Interview mit dem Paartherapeuten Dr. Peter Rottländer
Die Corona-Krise stellt viele Paare aktuell vor ganz neue Herausforderungen: Paare, die zusammenleben, verbringen plötzlich sehr viel Zeit mit dem Partner. Was raten Sie Paaren, bei denen ein unterschiedliches Bedürfnis nach Nähe und Distanz zwischen beiden Partnern besteht?
Wenn Paare dieses Thema ansprechen, interessiert mich zunächst, was beide genau meinen, wenn sie von dem Wunsch nach mehr Nähe oder nach mehr Distanz sprechen. Wie sieht die gesuchte Nähe genau aus und was gefällt dem anderen daran nicht? Wie sieht die gesuchte Distanz genau aus und was gefällt dem Partner daran nicht? Meist löst dies die scheinbar so klare Trennung in einen Nähesuchenden und einen Distanzsuchenden bereits etwas auf. Oft wird zudem deutlich, dass sich im Laufe der Beziehung unverarbeitete Enttäuschungen angesammelt haben, auf die beide reagieren, ohne sie anzusprechen. Dann geht es darum, diese Enttäuschungen anzusprechen und zu bearbeiten, um eine Lösung im Nähe-Distanz-Konflikt erreichen zu können.
So manche Fernbeziehung wird durch Ausgangsbeschränkungen, Einschränkungen im Nah- und Fernverkehr, aber auch durch die Angst, sich während eines Besuchs zu infizieren, nun noch zusätzlich auf die Probe gestellt. Was können diese Paare tun, um das Gefühl von Nähe auch über einen längeren Zeitraum hinweg aufrechtzuerhalten und sich nicht voneinander zu entfremden?
Wenn sich das Gefühl von Nähe nur einstellt, wenn der Partner körperlich in der Nähe ist, hat dieses Paar womöglich ein grundsätzliches Problem, das nicht nur die aktuelle Krise betrifft: Es gälte zu untersuchen, wie es zu diesem einengenden Arrangement gekommen ist und wie eine innere Repräsentanz des Partners geschaffen werden könnte, mit deren Hilfe Verbundenheit auch über längere Zeiträume körperlicher Getrenntheit aufrechterhalten werden kann. Aber auch bei Paaren, die in dieser Hinsicht sicher miteinander unterwegs sind, stellen lange Zeiten des erzwungenen Getrenntseins eine nicht leicht zu bewältigende Herausforderung dar. Früher schrieb man sich tägliche Briefe, heute praktizieren viele Paare Onlinekommunikation, meist auch mit Videokontakt. Das kann sogar eine größere Anteilnahme am Leben des jeweils anderen bedeuten, als dies im normalen Alltag der Fall ist. Ich finde, dass die Erfahrung des Überstehens von Getrenntheit für ein Paar auch zu einer Bereicherung werden kann: Wissend, dass jede*r es auch alleine schaffen kann, dies aber nicht der gesuchte Zustand ist, wird die Wiederbegegnung als Paar umso schöner.
Was raten Sie diesen Paaren, wenn zudem noch Uneinigkeit im Umgang mit den aktuellen Kontaktregeln besteht, wenn also einer der Partner für, der andere gegen einen Besuch ist?
Ich würde raten, die Art und Weise des Findens einer Lösung im Blick zu behalten. Fließen alle Aspekte ein? Können beide die Sichtweise des anderen nachvollziehen? Wird keiner von beiden in seiner Freiheit überrannt („Ich fahre jetzt einfach los und dann sehen wir mal weiter“)? Wird den verborgenen Gefühlen und Sorgen Raum gegeben – zum Beispiel, dass eine Ablehnung eines Treffens vom Partner als eine Ablehnung seiner Person verstanden werden könnte? Oder der Sorge, als weniger liebend dazustehen, wenn sich gegen ein Treffen gesträubt wird? Geben beide einander genügend Zeit, eine gefundene Lösung zu bedenken und erst dann endgültig zuzustimmen? Eins jedenfalls bringt die Corona-Krise mit sich: Eine achtsame Entscheidungsfindung muss nicht am Zeitdruck scheitern …
Dr. Peter Rottländer ist psychoanalytischer Paar- und Familientherapeut sowie Paar- und Lebensberater und Autor des Buchs „Mentalisieren mit Paaren“.
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