Vorwort (Peter Fürstenau) 11
1. Einleitung: Allgemeine Überlegungen 13
1.1 Leidvolles und Resilienz 17
1.1.1 Psychodynamisches Verstehen als Resilienzfaktor . . 20
1.1.2 Worum es geht 26
1.1.3 Was ist Resilienz? 28
1.2 Grenzen des Resilienzkonzepts und seiner Anwendung – was heißt Heilung in der Traumatherapie? 34
1.2.1 Probleme des Resilienzbegriff s und seiner Konnotation. 34
1.2.2 Was ist Heilung in der Traumatherapie? 37
1.3 Über Therapieziele . . . 38
1.3.1 Therapieziel Resilienzförderung 38
1.4 PITTund Psychotherapierichtlinien 40
2. PITT und Positive Psychologie 42
3. Der Beginn der Behandlung . 55
3.1 Die Beziehungsaufnahme 55
3.1.1 Übertragung und Gegenübertragung 56
3.1.2 Traumatischen Stress erkennen 63
3.1.3 Anamneseerhebung 71
3.1.4 Beantwortende Haltung, Selbstbestimmung, Würde und Resilienz 74
3.1.5 Die Betonung der Arbeitsbeziehung von Anfang an 81
3.1.6 Die Nutzung der therapeutischen Beziehung 84
3.1.7 Psychodiagnostik 87
3.2 Über die Brauchbarkeit von Konzepten 88
3.2.1 Zur Bedeutung der Imagination bzw. der Vorstellungskraft 96
3.2.2 Häufig gestellte Fragen zur imaginativen Arbeit 100
3.2.3 Die Bedeutung kognitiver Arbeit. 103
3.2.4 Ego-State-Therapie als konzeptuelle Grundlage 110
3.2.5 Ressourcenorientierung 116
3.3 Prozess- versus Phasenorientierung 122
3.4 Gefühlskontrolle statt Intensivierung von Gefühlen – emotionale Intelligenz 124
3.5 Zum Umgangmit regressiven Prozessen 133
3.6 Was in der Einleitungsphase bedacht werden sollte 136
3.7 Zusammenfassung: Vorgehen in der Einleitungsphase zur Förderung von Ressourcen und Resilienz 137
4. Die Phase der Ichstärkung oder »Stabilisierungsphase« 140
4.1 Psychoedukation 147
4.2 Kreativer Umgang mit den Imaginations-»Übungen«
4.3 Häufig gestellte Fragen zu den Imaginationsübungen 158
4.4 Zusammenfassung: Vorgehen bei der Anwendung von Imagination 163
4.5 Die Arbeit mit verletzten »kindlichen Anteilen« 164
4.6 Vorgehensweise zur Arbeit mit kindlichen verletzten Anteilen 168
4.7 Häufig gestellte Fragen zur Arbeit mit kindlichen Anteilen 177
4.8 Arbeit mit verletzenden Anteilen (Täterintrojekten) 180
4.8.1 Ego-State-orientierte Arbeit mit verletzenden Anteilen (Täterintrojekten) 182
4.8.2 Protokoll: Vorgehen bei der Ego-State-orientierten Arbeit mit verletzenden Anteilen 182
4.9 Arbeitmit dem Drachentötermodell 187
4.9.1 Zusammenfassung: Vorgehen bei der Täterintrojektarbeit nach dem Drachentötermodell 188
4.9.2 Häufig gestellte Fragen zur Täterintrojektarbeit nach dem Drachentötermodell 189
4.10 Gruppenarbeit mit stabilisierenden Techniken . . . 191
5. Die Traumakonfrontationsphase 194
5.1 Voraussetzungen 194
5.1.1 Das BASK-Modell 202
5.1.2 Grundlegende Voraussetzungen für eine Traumakonfrontation 203
5.2 Die Beobachtertechnik 205
5.2.1 Fallgeschichte 206
5.2.2 Vorgehen bei der Beobachtertechnik 219
5.2.3 Die Kombination verschiedener Techniken 225
5.3 Die Bildschirmtechnik 226
5.4 Unterschiede zwischen Bildschirm- und Beobachtertechnik 227
5.5 Häufige Fragen zur Trauma konfrontationsarbeit 227
5.6 Restabilisierung 234
6. Die Integrationsphase 237
6.1 Vorgehen in der Integrationsphase 239
7. Psychohygiene oder Selbstfürsorge für TherapeutInnen und PITT 244
8. PITT in der Behandlung spezifischer Probleme 246
8.1 Vorschlag für eine ressourcenorientierte Krisenintervention im Rahmen von 5 – 10 Sitzungen nachPITT 246
8.2 Behandlung hoch dissoziativer Patientinnen und Patienten 250
8.2.1 Zum Umgang mit DIS-PatientInnen mittels PITT 253
8.3 Behandlungvon Paaren 255
8.4 Behandlung von suizidalen PatientInnen 257
8.5 Behandlungvon SuchtpatientInnen 258
8.5.1 Vorgehen bei der Behandlung von SuchtpatientInnen 259
8.6 Behandlung von Opfern von Folter, Krieg und Vertreibung 260
8.7 PITTund die Behandlungvon Tätern 261
9. Genderspezifische Gesichtspunkte 263
10. PITT in der stationären Behandlung 266
Danksagung für die Neuauflage 269
Literatur 272
Ihrem Buch »Imagination als heilsame Kraft«, das auf große Resonanz gestoßen ist, hat Luise Reddemann jetzt ein »Manual der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie« folgen lassen. Dies Manual vermittelt den Leserinnen und Lesern, wie sie ihren Patienten konkret bei der Überwindung traumabedingter Störungen und Einschränkungen helfen können. Diese konkrete Hilfe besteht in der therapeutischen Kunst, den Patientinnen den Zugang zu ihren Ressourcen zu öffnen, damit sie diese zur Kontrolle ihrer Affekte und zur Überwindung ihrer Symptomatik nutzen können. Der respektvolle Umgang mit den Patienten und ihrem Recht auf Selbstbestimmung ist auf jeder Seite dieses Buches spürbar.
Das Manual folgt den von Luise Reddemann unterschiedenen Phasen der
Behandlung und macht die Leserinnen und Leser mit der Verwendung
kraftvoller Imaginationen, d. h. vielfältig sinnlich-plastischer
Vorstellungen, vertraut. Durch die von ihr entwickelten oder von anderen
übernommenen erprobten Imaginationsübungen sollen die pathologischen
Strukturen (Traumafolgen) durch neue prägende Erlebnisse und Erfahrungen
allmählich modifiziert, abgeschwächt, sozusagen entmachtet werden.
Moderne suggestivtherapeutische Praktiken werden so von der Autorin
souverän für die Traumatherapie nutzbar gemacht.
Psychoanalytisch beruht Luise Reddemanns Ansatz auf der
Fortentwicklung der Ich-Theorie der letzten Zeit. Zu den
Selbstverständlichkeiten des 19. Jahrhunderts gehörte im Nachhall der
Philosophie des deutschen Idealismus das Konzept der zwar brüchigen,
aber doch stets vorauszusetzenden Einheit des Ichs. Im Laufe des 20.
Jahrhunderts wurde dies Axiom immer mehr psychologisch-soziologisch
infrage gestellt – nicht nur für Menschen mit schweren
Persönlichkeitsstörungen, sondern auch für sogenannt gesunde.
Das alte psychoanalytische Konzept unterschiedlicher Ich-Zustände wurde wiederentdeckt und als Ego-States-Theorie ausgearbeitet. Es erwies sich als enorm nützlich zum Verständnis und zur Therapie dissoziierter Menschen.
Luise Reddemann hat die vielen Fragen zur Traumatherapie gesammelt,
die ihr in den Konferenzen ihres Klinikteams und in den mannigfaltigen
von ihr geleiteten Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen im Laufe der
letzten zwanzig Jahre gestellt wurden. Diese Fragen hat sie geduldig,
präzise, ausführlich und therapeutisch engagiert beantwortet. Daraus ist
ein Buch entstanden, das für alle, die sich gründlich in die
Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie einarbeiten wollen, äußerst
anregend und hilfreich ist.
Peter Fürstenau
1. Einleitung: Allgemeine Überlegungen
»Einfach ... ist das mit knappsten Mitteln Erreichte ... Aber das mit knappsten Mitteln Erreichte kann nur aus der Fülle kommen.«
Juan Ramon Jimenez
Das einzig Unveränderliche Ist die Veränderung.
Lao Tse
Im Jahr 2000 habe ich das Buch »Imagination als heilsame Kraft«
verfasst, das inzwischen viele Menschen, KollegInnen, PatientInnen und
am Thema Interessierte erreicht hat; das Manual habe ich 2003
geschrieben und 2007 überarbeitet. In den letzten 10 Jahren hat sich die
grundsätzliche Orientierung der PITT an den Selbstheilungskräften zwar
nicht verändert, jedoch sind in der Psychotherapie allgemein, in der
Psychotraumatologie speziell und in meiner persönlichen Entwicklung und
in meinen Sichtweisen viele neue Erkenntnisse dazugekommen, die in die
Praxis zwar bereits eingeflossen sind, die aber jetzt auch in
schriftlicher Form vorgelegt werden sollen.
Schon in »Imagination als heilsame Kraft« habe ich den Wert der
Ressourcenorientierung und eine Konzentration auf die
Selbstheilungskräfte der Patientinnen und Patienten hervorgehoben.
Jedoch kam in den letzten zehn Jahren ein in der Psychotherapie neuer
Bereich dazu: die Resilienzorientierung. In meinem Buch
»Überlebenskunst« habe ich erste Überlegungen dazu beschrieben.
Resilienzorientierung in der Psychotherapie erfordert teilweise ein
Umdenken bzw. eine Umakzentuierung dessen, was man tut bzw. wie man es
tut. Diesem wichtigen Bereich soll nun in dieser Neuauflage Raum gegeben
werden. Ich werde deutlich machen, wie Orientierung am Leidvollen und
an der Resilienz bei beinahe jedem Behandlungsschritt beachtet werden
sollte und kann. Wesentliche Impulse hierfür verdanke ich dem
bahnbrechenden Buch von Pauline Boss »Verlust, Trauma und Resilienz«.
Des Weiteren habe ich mich seit dem Erscheinen des Manuals intensiv mit
Erkenntnissen der »Positiven Psychologie« und deren Anwendung in der
Psychotherapie beschäftigt, dazu Vorträge und Seminare gehalten, und
auch dies gehört inzwischen zum festen Bestandteil in der PITT.
Besonders viele Anregungen verdanke ich Stephen Joseph und P. Alex
Linley und ihren Veröffentlichungen, zuletzt »Trauma, recovery, and
growth«.
Wichtig wurde mir des Weiteren die Beschäftigung mit dem Thema Würde.
Ein sperriger und heute selbst in der Philosophie umstrittener Wert. In
meinem Buch »Würde – Annäherung an einen vergessenen Wert in der
Psychotherapie« habe ich dargestellt, dass wir gut daran täten, uns
metatheoretisch auch am Würdebegriff zu orientieren.
Auch in allen anderen Kapiteln geht es teilweise um Neubewertung und
Umakzentuierung. Insbesondere dem Aufbau einer sicheren Bindung soll
hier mehr Raum gegeben werden als bisher.
Dieses Buch ist für Fachleute geschrieben. Es gründet auf den Prinzipien der psychodynamischen Psychotherapie, ist aber beeinflusst von einer ganzen Reihe anderer Verfahren; es verwendet daraus, was hilfreich erscheint, und ist insoweit integrativ, nutzt aber zum Verständnis und als Grundlage psychoanalytische Konzepte.
PITT wurde entwickelt für die Behandlung von komplex traumatisierten
Patientinnen und Patienten mit komplexen Traumafolgeerkrankungen und hat
auf diesem Gebiet nach wie vor ihre wichtigste Indikation. Einige
Elemente können aber auch, ggf. kombiniert mit anderen Verfahren, z. B.
in der Mehrdimensionalen Psychodynamischen Traumatherapie, MPTT (Fischer
2000 a, Reddemann und Fischer 2010), bei der Behandlung von nicht
komplexen Traumafolgestörungen und auch im ersten Jahr nach einem
erlittenen Trauma Anwendung finden (Seidler et al. 2003). Auch in der
Begleitung von akut Traumatisierten haben sich Elemente der PITT als
hilfreich erwiesen. Eine diesbezügliche Empfehlung findet sich in
Kapitel 8.1. Darüber hinaus können die stabilisierenden Teile zur
Selbstfürsorge (Psychohygiene) von TherapeutInnen eingesetzt werden.
Die Erkenntnisse aus der Ego-State-Therapie haben sich vertieft, sodass
sich auch hier einige Veränderungen ergeben, insbesondere halte ich es
heute für günstiger, nicht von »dem inneren Kind« zu sprechen, sondern
von »kindlichen Anteilen« oder gegebenenfalls von »verletzten Anteilen«.
Die stabilisierenden Teile von PITT empfehlen sich für die
Kombination mit EMDR, wenn intensive Stabilisierung erforderlich
erscheint, was bei fast allen PatientInnen mit komplexen
Traumafolgestörungen der Fall sein dürfte. Die Arbeit an
Täterintrojekten gründet auf einem psychoanalytischen Verständnis, ist
aber in der Therapeutik mehr an der Ego-State-Therapie und der
Hypnotherapie orientiert. Die traumakonfrontative Arbeit unterscheidet
sich von allen anderen Verfahren, ausgenommen MPTT (Reddemann und
Fischer a. a. O.), durch äußerste Behutsamkeit.
Es ist empfehlenswert, dieses Manual als Ergänzung zu »Imagination als
heilsame Kraft« zu verwenden, d. h., die Lektüre beider Bücher ist für
ein vertieftes Verständnis zu empfehlen.
Dieses Manual kann keine gründliche Fortbildung in Psychodynamisch
Imaginativer Traumatherapie ersetzen und erst recht keine komplette
Weiterbildung in den vielfältigen Formen der Behandlung
psychotraumatischer Störungen. Therapie kann man nicht ausschließlich
aus Büchern lernen, man muss erfahreneren KollegInnen bei der Arbeit
zuschauen, sie selbst erfahren und sie dann selber unter Anleitung tun.
Ich gehe davon aus, dass PITT erlernt wird, wenn bereits eine Aus- bzw.
Weiterbildung in einem anerkannten psychotherapeutischen Verfahren
abgeschlossen bzw. breitere Erfahrungen darin vorhanden sind.
Alltägliches Handwerkszeug von PsychotherapeutInnen setze ich voraus,
hier will ich die mir wesentlich erscheinenden Tools der
traumaadaptierten Psychotherapie herausarbeiten.
Redundanzen im Text sind beabsichtigt, um ein vertieftes Verständnis zu erreichen.
Viele Anregungen für dieses Buch stammen aus der Arbeit mit KollegInnen
in Kursen und Supervisionen sowie aus Erfahrungen in der Klinik für
psychotherapeutische und psychosomatische Medizin des Ev.
Johannes-Krankenhauses Bielefeld. Ich habe das Glück, meine
Vorstellungen von Therapie laufend mithilfe vieler PatientInnen und
KollegInnen überprüfen zu können. Inzwischen war es möglich, eine
naturalistische Studie mit einer Zwei-Jahres-Katamnese abzuschließen,
die Ergebnisse sind ermutigend, jedoch ist weitere Forschung
erforderlich (Lampe et al. 2008, Barbist et al., in Vorbereitung).
Meiner Behandlungsphilosophie entsprechend werden die Teile, die sich auf Stabilisierung, Restabilisierung und Resilienzförderung beziehen, erheblich mehr Raum einnehmen als diejenigen, bei denen es um Konfrontation geht. Auch Letztere betrachte ich heute mit einem resilienzorientierten Blick. Ich gehe davon aus, dass Konfrontation in den meisten Fällen den geringsten Teil der Behandlung einnimmt, und dies spiegelt sich in diesem Manual auch wider.
Viele Anregungen für meine Arbeit verdanke ich ganz anderen als psychotherapeutischen Quellen. DichterInnen beschäftigen sich, ohne je Therapie gemacht zu haben, mit Fragen, die auch in Therapien auftauchen. Deshalb zitiere ich einige Texte, die mir wie zum Thema geschrieben erscheinen. Auch möchte ich damit zum Ausdruck bringen, dass die Beschäftigung mit Literatur, Kunst und Musik sehr resilienzfördernd sein kann.
Ich habe mich bemüht, die Kapitel jeweils in sich geschlossen und nachvollziehbar zu gestalten. Zum besseren Verständnis empfiehlt es sich, das erste Kapitel, in dem ich viele neue Erkenntnisse über Resilienz zusammengetragen habe, in jedem Fall zuerst zu lesen.
Bitte behalten Sie immer im Sinn, dass dieses Buch zwar für TherapeutInnen geschrieben ist und ich daher vordringlich ihre Bedürfnisse im Sinn hatte. Dennoch halte ich nach wie vor Patientinnen und Patienten für ExpertInnen ihrer eigenen Probleme. Tun Sie daher bitte alles mit dieser Haltung. Auch hierzu gibt es ergänzende Einsichten. So hat meine Beschäftigung mit der Frage nach einer Würdeorientierung in der Psychotherapie (Reddemann 2008) mich dazu gebracht, Empowerment für ein vordringliches Thema jeder Psychotherapie zu halten.
Männer erleiden häufiger traumatische Erfahrungen als Frauen, aber Frauen leiden häufiger an Posttraumatischen Störungsbildern. Ich gehe davon aus, dass viele Kolleginnen und Kollegen eher mehr Frauen als Männer behandeln, außer sie arbeiten vorwiegend mit Akuttraumatisierten oder im Strafvollzug. Die ausschließliche Verwendung der männlichen Form mit der Begründung, die Frauen seien »mitgemeint«, ist für mich nicht akzeptabel. Die umgekehrte Form (Männer sind in der weiblichen Form mitgemeint) finde ich aber genauso fragwürdig. Das »Mitmeinen« ist in meinem Verständnis eine subtile Form von struktureller Gewalt. Daher habe ich mich entschieden, abwechselnd von Patientinnen und Patienten, Therapeutinnen und Therapeuten zu sprechen, also teils in der weiblichen, teils in der männlichen Form. Diese Sprachregelung hat sich im angloamerikanischen Sprachraum längst durchgesetzt. Zwischendurch verwende ich auch den Begriff PatientInnen und TherapeutInnen.
Ich bin seit 40 Jahren psychotherapeutisch tätig. In so langer Zeit hört und liest eine viel. Ich bitte daher um Nachsicht, falls ich jemanden zu zitieren vergessen habe, weil ihre oder seine Gedanken inzwischen zu meinen eigenen geworden sind. Andererseits stelle ich immer wieder fest, dass im Grunde genommen alles schon einmal gedacht und gesagt wurde und dass ich längst nicht alle Autoren kenne, die ähnliche Gedanken hatten wie ich. Ich habe mich bemüht, meine Quellen so sorgfältig wie möglich anzugeben. Für Hinweise, die mein Gedächtnis auffrischen oder mich auf Neues oder mir nicht Bekanntes hinweisen, bin ich dankbar.
1.1 Leidvolles und Resilienz
Einsicht, gib mir Den wahren Namen der Dinge!
(J. R. Jimenez)
Ich bin überzeugt, dass Dunkelheit, Schmerz und Leiden ein Teil des menschlichen Lebens sind, den niemand aus ihm entfernen kann, selbst wenn er es wollte. Wer meint, ich wollte das mit meiner Arbeit bewirken, hat mich gründlich missverstanden.
Meine klinische Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Menschen, mit denen ich arbeite, so überwältigt worden sind von leidvollen Erfahrungen, dass ihre Möglichkeiten, diese als zu ihnen gehörig zu integrieren oder anzunehmen, häufig bei Weitem überfordert waren, selbst wenn sie eine ganze Reihe von Selbstheilungsmechanismen zur Verfügung hatten. Die meisten meiner PatientInnen vermieden Leid und damit Trauern, obwohl sie andererseits ständig damit in irgendeiner Weise beschäftigt waren. Das erscheint paradox, erklärt aber vielleicht die grundlegende Schwierigkeit. Sie können die Welt nicht (mehr) als Ganzes akzeptieren und erkennen.
In der buddhistischen Psychologie heißt es, dass Leiden dadurch
vermehrt wird, dass wir das Leiden, das das Leben mit sich bringt, nicht
akzeptieren. Ähnliche Gedanken finden sich auch in der christlichen
Tradition. Schaut man sich alte Kirchenlieder an, z. B. »Wer nur den
lieben Gott lässt walten«, das während des 30-jährigen Krieges
entstanden ist, so wird hier gefragt, was die Sorgen, das »Weh und Ach«,
sollen, man könne sich damit Gott anvertrauen. Nun ist aber das extreme
Leid und Leiden traumatischer Erfahrungen gerade so beschaffen, dass es
in einer Weise unerträglich erscheint, dass heutigen Menschen die alten
Empfehlungen nicht mehr zu helfen scheinen.
Viel Weisheit, vieles an Kunst hat seine Wurzeln in leidvollen Erfahrungen.
Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Angstmachendem und Dissonanzen des Lebens und den überwältigenden Erfahrungen von traumatischen Erlebnissen, die einen zutiefst erschüttern und aus den Angeln heben können. Zweifellos gibt es Menschen, für die traumatische Erfahrungen Wachstumschancen beinhalten, aber manche zerbrechen fast daran. Sie kämpfen Tag für Tag ums Überleben. Und um diese Menschen geht es in meiner Arbeit; sie und wir TherapeutInnen können von denen, die nicht erkranken oder rasch(er) genesen, allerdings lernen. Diese Menschen haben fast in jedem Moment ein Bewusstsein der Fülle der Möglichkeiten, während andere Unterstützung dabei benötigen, die Fülle der Möglichkeiten (wieder) zu entdecken , auch sich des eigenen Potenzials, das bereits da ist, bewusst zu werden. Diese PatientInnen scheinen außerhalb der Polarität zwischen Freud- und Leidvollem, gefangen im Leidvollen, zu leben. So verstehe ich die therapeutische Aufgabe darin, ein Bewusstsein für die Polarität und damit Ganzheit von Leid und Freude anzuregen, damit die PatientInnen wieder in die Lage kommen zu wählen, wo sie sich aufhalten wollen, um die Wechselfälle des Lebens anzunehmen. Vor allem geht es darum, dass sie sich ihrer eigenen Ressourcen und der darin enthaltenen Resilienz bewusster werden, um diese nutzen zu können. Wichtig erscheint mir, dass wir uns klarmachen, dass die Patientin bereits überlebt hat! Dafür benötigt sie uns nicht, aber dafür, dass ihr ein »gutes Leben« möglich wird, wenn sie das wünscht.
Jeder Mensch hat das Recht, im Leid zu verharren. Diejenigen, die bei mir Hilfe suchten, wollten das nicht.
Resilienzorientierung darf nicht dafür verwendet werden, dem Leiden
aus dem Weg zu gehen und PatientInnen den Raum, den sie für ihr Leid
brauchen, zu versagen.
Und dennoch: Viele TherapeutInnen sind nach meiner Beobachtung bei
ihrer Arbeit nicht in der Fülle, sondern gefangen in einer
ausschließlich am Leiden orientierten Sichtweise. Damit lässt man Patien
t Innen genauso wenig eine Wahl, wie wenn man sich ausschließlich auf
Ressourcen konzentriert. Resilienzorientierung neben der
Leidorientierung stellt sich in den letzten Jahren zunehmend als
zentraler Faktor in der Behandlung allgemein und in der Psychotherapie
von Menschen mit Traumafolgestörungen im Besonderen heraus. (Boss 2008)
Auch Resilienzforscher wissen, dass es für manche Menschen aus
unterschiedlichsten Gründen und zu bestimmten Zeiten nicht ansteht, ihr
Unglücklichsein zu verändern. Darüber hinaus sollte die Frage nach
Resilienz nicht dafür missbraucht werden, Menschen abzuverlangen, dass
sie sich mit sozialer Ungerechtigkeit und Gewalt »resilient« abfinden
sollen. Hier braucht es gesellschaftliche Veränderungen! Zur Resilienz
gehören Mut, Entschlossenheit, Aufbegehren gegen Unrecht und Einsatz,
wenn man ein belastetes Leben ändern will; man muss auch manche
Unbequemlichkeit auf sich nehmen, und es braucht vor allem Geduld. Von
Rückschlägen darf man sich nicht entmutigen lassen. Es geht darum,
Veränderung zu wollen, nicht aufzugeben, sich dazu zu entschließen, dass
man sein Schicksal ändern will, Negativzuschreibungen zu beenden und geduldig
an Veränderungen zu arbeiten. Denn Veränderungen brauchen Zeit.
TherapeutInnen laufen Gefahr, im Sinne einer – auch gesellschaftlich
bedingten Gegenübertragungsreaktion – zu schnell Veränderungen
anzustreben, um dem Leiden zu entkommen. Nur der Patient kann bestimmen,
wann etwas für ihn stimmig ist. Aber wenn wir keine Angebote machen,
hat er womöglich keine Wahl!
Ressourcenorientierung ist nicht gedacht für Verleugnung,
Bagatellisierung und Beschönigung. Resilienz bedeutet nicht andauerndes
Wohlgefühl, sondern Widerstandskraft, die wiederum hat auch mit
Widerständigkeit zu tun.
Gerade darin sehe ich eine Chance für psychodynamische Behandlungsansätze.
Prof. Dr. med. Luise Reddemann ist Nervenärztin, Psychoanalytikerin und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. Seit gut 50 Jahren beschäftigt ...
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