Therapie der Zweierbeziehung

Einführung in die analytische Paartherapie - Anwendung des Kollusionskonzepts - Beziehungsgestaltung im therapeutischen Dreieck
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Jürg Willi: der bekannteste Paartherapeut im deutschsprachigen Raum

In diesem Buch erweitert Jürg Willi die Konzeption der Zweierbeziehung zur therapeutischen Dreiecksbeziehung. Er bringt sich als Therapeut in einer derart persönlichen Form ein, dass sich der Leser miteinbezogen fühlt.

Jürg Willi ist der Begründer des weltweit bekannten Kollusionskonzepts. Unter einer Kollusion versteht er die unbewusste, oft neurotische Verstrickung von Partnern in ihrer ambivalenten Suche nach Nähe und Geborgenheit, der die Angst vor Verlust der eigenen Autonomie entgegensteht. Das Buch beschreibt die praktische Anwendung dieses Konzepts in der Paartherapie.

Er führt aus, wie der Therapeut persönlich gefordert ist, sowohl bei der Gestaltung der therapeutischen Dreiecksbeziehung als auch beim Umgang mit seiner eigenen Geschlechtszugehörigkeit und seinen Wertvorstellungen über Paar- und Familienbeziehungen.

Einen Großteil des Buches nimmt die Therapiegeschichte eines Paares ein, die in allen Behandlungsphasen nachgezeichnet und kommentiert wird. Wie Willi sich dabei kritisch mit seiner grundsätzlichen Haltung und seinem konkreten Handeln in der Therapie auseinandersetzt, liest sich spannend und erhellt die Vorgänge, die in der Therapie ablaufen. 

Inhaltsverzeichnis


Zur Neuherausgabe nach 30 Jahren
1 1 Männer und Frauen in der Paartherapie
1 2 Entwicklungsfördernde und entwicklungshemmende Aspekte der Partnerbeziehung
1 3 Methodik der Paartherapie: Das erste Gespräch mit dem Paar
1 4 Der Widerstand in der Paartherapie
1 5 Die Anwendung des Kollusionskonzeptes in der analytischen Paartherapie
1 6 Die Übertragung in der Paartherapie
1 7 Gegenübertragung und therapeutische Kollusion
1 8 Die Geschlechtsgebundenheit des Paartherapeuten
1 9 Ausübung von Paartherapie durch ein Therapeutenpaar ( Cotherapie )
10 Wertprobleme in der Paartherapie
11 Scheidung und Wiederverheiratung
12 Helga und Stani - Fallbericht über die Anwendung des Kollusionskonzeptes in der Paartherapie
13 Schlusswort
Literaturverzeichnis
Register



Leseprobe


Zur Neuherausgabe nach 30 Jahren
Begründung der Neuherausgabe
Als das Buch »Therapie der Zweierbeziehung« im Jahr 1978 herauskam, war es das erste deutschsprachige Werk, das sich mit den systemischen und psychodynamischen Aspekten der Paartherapie befasste. Zuvor waren die beiden Bücher des Münchener Therapeutenpaares Herbert und Anita Mandel ( 1971 und 1975 ) erschienen, die, ähnlich wie das aus dem Amerikanischen übersetzte Buch von Bill Lederer und Don Jackson ( 1972 ), die Behandlung destruktiver Paarbeziehungen mit Kommunikationstherapie und Verhaltenstherapie darstellten. »Therapie der Zweierbeziehung « legte das theoretische Gewicht auf die Kollusion des Paares, also auf das unbewusste Wechselspiel der Partner in der Partnerwahl und im Paarkonflikt. Das Kollusionskonzept habe ich 1975 in »Die Zweierbeziehung« eingehend beschrieben. Nun stellt sich die Frage: Entspricht das vorliegende Buch 30 Jahre nach seinem Erscheinen noch den heutigen Anforderungen in einem Gebiet, in welchem sich der Gegenstand - die Gestalt einer gestörten Paarbeziehung - sowie die Theorie und Praxis ihrer Therapie enorm verändert und entwickelt haben? Als Antwort auf diese Frage möchte ich Thomas Hess aus seinem Lehrbuch für die systemische Arbeit mit Paaren 2003 zitieren: »In Europa hat Willi als Erster eine umfassende Studie zur Dynamik und Therapie von Zweierbeziehungen vorgelegt. Sein Kollusionskonzept , das eine Brücke zwischen der Psychoanalyse und der damaligen Praxis von Paar- und Familientherapie schlug, genießt noch heute großes Interesse und wurde von ihm fortlaufend weiterentwickelt. Seither sind keine solch Bahn brechende Konzepte mehr entstanden. Zwar existieren einige Modelle, die meines Erachtens jedoch nicht umfassend sind. Die Schöpfer dieser Modelle bewegen sich - mit wenigen Ausnahmen - nur innerhalb der Grenzen der eigenen Therapieschule« (S. 77 ).
Das Buch »Therapie der Zweierbeziehung« fand eine weite Verbreitung und wurde in über 40000 Exemplaren verkauft. Es wurde ins Amerikanische ( 1984 ), ins Japanische ( 1988 ) und nach einem Intervall von 20 Jahren ins Niederländische ( 1998 ) und Tschechische ( 1998 ) übersetzt. Nachdem über lange Zeit nur vereinzelte deutschsprachige Bücher über Paartherapie erschienen waren, kam es im neuen Jahrtausend zu einem eigentlichen Boom. 11 neue Bücher über Paartherapie erschienen hintereinander, verfasst von den Autoren Guy Bodenmann ( 2004 ), Ulrich Clement ( 2004 ), Birgit Dechmann und Christiane Ryffel ( 2001 ), Thomas Hess ( 2003 ), Hans Jellouschek ( 2005 ), Wolfgang Lutz ( 2006 ), Arnold Retzer ( 2004 ), Astrid Riehl-Emde ( 2003 ), Fritz B. Simon und Christel Rech-Simon ( 2001 ), Roland Weber ( 2006 ), Rosmarie Welter-Enderlin ( 2007 ).
Vom Menschenbild und Therapieverständnis stehen mir die Bücher von Hans Jellouschek und von Rosmarie Welter-Enderlin am nächsten, die zur ersten Generation von Paartherapeuten zu zählen sind und die eine große Breitenwirkung auf angehende Therapeuten gehabt haben und weiterhin haben. Ähnlich wie ich streben sie eine für Paare transparente und verständliche therapeutische Haltung und Sprache an, was leider unter systemischen Therapeuten keineswegs selbstverständlich ist. Auch Rosmarie Welter-Enderlin und Hans Jellouschek legen den Schwerpunkt auf die persönliche Entwicklung durch die Paarbeziehung, bzw. sie sehen die aktuelle Krise in Zusammenhang mit blockierten und vermiedenen Entwicklungen der Paarbeziehung. Diese Sichtweise wurde von den meisten deutschsprachigen Paartherapeuten übernommen. Sie ist aber keineswegs selbstverständlich. In der amerikanischen Paartherapieszene wird das Therapieziel weniger auf die Bearbeitung von Konflikten und Problemen in der Beziehung gelegt, sondern auf die Herstellung einer positiven, Sicherheit spendenden Kommunikation, so z.B. der einflussreiche Autor John Gottman , der auf Grund seiner gemeinsam mit R.W. Levenson durchgeführten, umfangreichen Studien Prädiktoren für eine gelingende Partnerschaft herausgearbeitet hat. In seinem Buch »Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe« ( 2004 ) erteilt er Anweisungen, ja, verspricht sogar das Gelingen einer glücklichen Ehe durch wechselseitiges Wohlwollen, Respekt, Anerkennung und Lob. Eine andere einflussreiche Paartherapeutin ist Susan Johnson, die mit der von ihr begründeten Emotionally Focused Therapy EFT unsicher gebundene Partner zu einer Sicherheit spendenden Beziehung anleitet. Oft wird auf ein therapierelevantes Konzept oder Konfliktmodell verzichtet und pragmatisch- eklektisch an einer Verbesserung der Paarbeziehung gearbeitet, was zu einem Mangel an Vertiefung führen kann. Das Vorgehen ist oftmals eher pädagogisch als psychotherapeutisch. Von großer Bedeutung ist auch das lösungsorientierte Konzept von Steve de Shazer ( 1989 ). De Shazer erkundigt sich beim Paar nach Lebenssituationen, die problemfrei sind, und fragt, wie diese entstehen und erweitert werden könnten. Oder er forscht nach Ausnahmen einer bestimmten störenden Situation und versucht die Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens solcher Ausnahmesituationen zu erhöhen. Dem Paar wird grundsätzlich die Fähigkeit zugeschrieben, das Problem selbst lösen zu können (Ressourcenaktivierung). Im lösungsorientierten Vorgehen wird möglichst wenig Konflikt- und Problemanalyse ins Zentrum der Bearbeitung gerückt, in der Meinung, dass diese die Schwierigkeiten eher vertiefen als lösen, etwa nach der Devise »Es ist nicht das Problem, das einer Lösung bedarf, vielmehr ist die bisherige Lösung das Problem«. Das lösungsorientierte Denken scheint mir eine oft wertvolle therapeutische Technik zu sein; wird sie aber zum eigentlichen Therapiekonzept, kann sie Anlass geben, einer vertieften Sicht der Hintergründe einer belastenden Beziehung auszuweichen und damit auch die Chance zu verpassen, sich auf anstehende Entwicklungen der Beziehung einzulassen. Viele Paare beklagen sich denn auch über negative Erfahrungen in der Paartherapie. Sie sind enttäuscht über das oberflächliche Verständnis des Therapeuten für den Paarkonflikt, über unverständliche Therapieinterventionen und über die mangelnde Fähigkeit, den beiden Partnern gerecht zu werden.
Dennoch bleibt die Frage: Wurde das Buch »Therapie der Zweierbeziehung« nicht in einer anderen Kulturepoche geschrieben, nämlich zu einer Zeit, wo das selbstverständliche Therapieziel die Erhaltung einer Ehe war, während heute die Klärung des Therapieauftrags viel komplexer geworden ist? Geht es um die Lösung von Paarproblemen, in der Hoffnung, der Beziehung eine neue Zukunft zu ermöglichen, geht es um die Klärung einer Ambivalenz betreffend die Fortführung der Beziehung, oder geht es um die Konfliktregelung und Mediation bei einer Trennung (Hess 2003 )? Heute melden sich weit häufiger als vor 30 Jahren unverheiratete Paare. Die beidseitige Möglichkeit, sich in der Beziehung persönlich und beruflich zu entwickeln und seine eigenen Chancen und Freiheiten wahrzunehmen, spielen eine weit größere Rolle als früher. Die Partner präsentieren sich weniger voneinander abhängig und weniger kollusiv miteinander verstrickt. Scheidungen, selbst wenn sie auch heute als schmerzlich erlebt werden, sind gesellschaftlich nicht mehr geächtet und dienen oft dazu, frei zu werden für einen Neubeginn, in oder außerhalb einer neuen Beziehung. Dennoch - die frustrierten Liebessehnsüchte und die Ängste vor Enttäuschung, Bindung und Freiheit sind dieselben geblieben. Nach wie vor ist die Tendenz spürbar, unerfüllbare Sehnsüchte und Ängste mittels kollusiver Arrangements unter Kontrolle halten zu wollen. Die Hintergründe für irrationale Reaktionen und Interaktionen liegen weiterhin oftmals auf unbewussten, schamhaft verborgenen Wünschen. Nicht immer braucht der Therapeut tiefer gehende oder neurotische Kollusionen direkt als Thema anzusprechen. Aber es ist von großer Bedeutung, ob ein Therapeut über ein Konzept verfügt, um Paare auf einer ihnen oftmals selbst unerklärlichen Ebene zu verstehen und in ihren irrationalen Verhaltensweisen therapeutisch zu akzeptieren. Von daher glaube ich, dass trotz des tief gehenden Wandels der heutigen Paarbeziehungen und Paarkonflikte die tiefere Dynamik dieselbe geblieben ist und somit das vorliegende Buch nichts von seiner Aktualität verloren hat.
Worin liegen nun die inhaltlichen Besonderheiten dieses Buches? Es geht um zwei heute weiterhin aktuelle Themenschwerpunkte, nämlich um: die Basics der paartherapeutischen Arbeit und um die praktische Anwendung des Kollusionskonzeptes .
a) Heute aktuell: Basics der paartherapeutischen Arbeit
Paartherapie wird oftmals als die schwierigste Form der Psychotherapie bezeichnet. »Therapie der Zweierbeziehung« befasste sich als erstes deutschsprachiges Buch mit den Details der Methodik des Paargesprächs und der Gestaltung der therapeutischen Beziehung im therapeutischen Dreieck. Doch immer noch scheitern viele Paargespräche an elementaren praktischen Details. Oft gestehen es sich Therapeuten nur ungern ein, dass sie sich zuerst mit den Basics befassen sollten, bevor sie sich die oftmals faszinierenderen Übungen auf dem hohen Seil zutrauen können. Im Paargespräch sind viele praktische Aspekte weniger selbstverständlich als im Einzelgespräch. Leider werden derartig wichtige Grundlagen in den heutigen Büchern über Paartherapie oft nur am Rande behandelt.
Konkret geht es in diesem Buch um viele methodische Details , wie etwa die Anmeldesituation des Paares: Wer meldet das Paar wie an? Wie verhält sich der Therapeut gegenüber den telefo nisch angebotenen Informationen? Wie gestaltet er den Kontakt zu einem wenig motivierten Partner? Wie balanciert der Therapeut seine Aufmerksamkeit und Zuwendung im ersten Gespräch? Wie verhält er sich, wenn die Partner gleich in einen heftigen Streit ausbrechen? Wie baut er am besten ein Erstgespräch auf? Was ist bei der Indikation zu einer Paartherapie zu bedenken?
Eine Besonderheit dieses Buches ist die ausführliche Darstellung der Gestaltung der therapeutischen Beziehung . Diese ist unter anderem deshalb oft so schwierig, weil Therapeutinnen und Therapeuten, wie alle Menschen, zumindest zeitweise selbst in ungelösten Paarkonflikten stecken. Sie sind in der Konfrontation mit einem Konfliktpaar nicht gefeit gegen die Tendenz, die Schuld am unlösbaren Konflikt einem Klienten zuzuschieben, der ein ähnliches Konfliktverhalten zeigt wie der Konfliktpartner des Therapeuten. Sie neigen dann dazu, sich mit dem einen Klienten gegen den anderen zu verbünden und die Ursache des Paarkonfliktes ausschließlich bei einem der beiden auszumachen und sie in diesem zu bekämpfen. Deshalb habe ich mit dem Kollusionskonzept die » 50 -Prozent-Regel« aufgestellt. Sie besagt, dass der Therapeut von der Arbeitshypothese ausgehen soll, jeder der beiden Partner trage zu 50 Prozent an der Entstehung und Aufrechterhaltung des Paarkonfliktes bei. Dies zu erkennen ist oft auch für geübte Therapeuten schwierig, weil der eine Partner oft ein besonders auffälliges Verhalten zeigt, während der andere liebenswürdig, kontrolliert und angepasst wirkt. So kann es sein, dass die Frau sich lautstark darüber aufregt, dass der Mann so still und unberührbar dasitzt, abgeklärt wie ein Heiliger, in Wahrheit aber sich feige vor jeder Auseinandersetzung drückt. Oder ein Mann mit Alkoholproblemen regt sich über das betuliche Verhalten seiner um ihn besorgten Frau auf, durch die er sich bevormundet und klein gehalten fühlt.
Das vorliegende Buch gibt Anleitungen für Therapeuten, wie sie mit der Einseitigkeit ihrer spontanen Sympathie besser umgehen können, ja, wie eine einseitige Parteilichkeit therapeutisch fruchtbar gemacht werden kann. Die Bemühung des Therapeuten um eine ausgleichende Parteilichkeit kann beispielgebend für die Partner sein. »Therapie der Zweierbeziehung« befasst sich dabei eingehend mit der Dynamik im therapeutischen Dreieck . Diese wird auch durch die Geschlechtsgebundenheit der Therapeutin oder des Therapeuten beeinflusst. Es besteht im Gespräch mit einem heterosexuellen Paar immer eine 2 : 1 -Situation, d.h. je nach Geschlecht des Therapeuten ein Überwiegen der Männer oder Frauen, mit der Gefahr, dass der Therapeut oder die Therapeutin die Klientin oder den Klienten besser versteht als den anderen. Es kann sein, dass sie oder er Koalitionen mit dem gleichgeschlechtlichen Klienten eingeht und sich sogar für diesen in einen Kampf mit dem Gegenpart einlässt. Auch der Wertewandel im Beziehungsbereich betrifft oft Themen, um die nicht nur die Klienten ringen, sondern auch der Therapeut in seiner eigenen Partnerbeziehung. Die Werthaltungen im Beziehungsbereich waren in den letzten dreißig Jahren laufend im Umbruch, so dass es auch für Therapeutinnen und Therapeuten schwierig ist, eine neutrale Haltung aufrecht zu erhalten. Es handelt sich etwa um Fragen wie »Soll ich heiraten ?« , »Soll ich mich scheiden lassen?«, »Soll ich diese unerwünschte Schwangerschaft abbrechen lassen?«, »Soll ich auf Kinder verzichten?«, »Hab ich ein Anrecht auf meine Außenbeziehung?«. In all diesen Fragen haben manche Therapeuten Mühe, sich direkter Interventionen und Meinungsäußerungen zu enthalten. Besonders dann, wenn der Therapeut Hinweise auf seine eigenen Lösungen in ähnlichen Problemlagen gibt, sind seine Interventionen meist entweder wirkungslos oder gehen daneben.
Heute sollte es für alle sozialen Berufe, so für Hausärzte, Gynäkologen, Sozialarbeiter, Berater, Seelsorger zur Grundausbildung gehören, mit einem Paar ein Konfliktgespräch zu führen unter Beachtung der in diesem Buch dargestellten Besonderheiten. Gelingt es, das Gespräch so zu führen, dass sich beide Partner verstanden und akzeptiert fühlen, sind bereits einzelne Gespräche oft sehr hilfreich. Die beiden Bücher »Die Zweierbeziehung « und »Therapie der Zweierbeziehung« richten sich deshalb nicht nur an Fachleute.
b) Heute aktuell: Praktische Anwendung des Kollusionskonzeptes
Ich habe dieses Buch ursprünglich als eine Anleitung zur therapeutischen Anwendung des Kollusionskonzeptes verfasst, wie ich es zuvor in »Die Zweierbeziehung« ( 1975 ) beschrieben hatte. Die beiden Bücher bilden somit eine Einheit. Die Leserinnen und Leser haben sich gewiss bereits über die Theorie des Kollusionskonzeptes kundig machen können, so dass dieses nicht noch einmal in aller Ausführlichkeit beschrieben werden muss. Die Grundstruktur des Kollusionskonzeptes ist bis heute gleich geblieben, verändert hat sich jedoch die Gewichtung der Konfliktthemen. Ich möchte deshalb hier in gedrängter Form das Kollusionskonzept aus heutiger Sicht darstellen.
Die ihm zugrunde liegende Beobachtung ist, dass Paare sich in der Therapie häufig in polarisierter Form präsentieren. Der eine möchte beispielsweise mehr verbindliche Nähe, der andere mehr Freiheit und Distanz. Der eine möchte mehr Autonomie, der andere mehr partnerschaftliche Abstimmung; der eine möchte sich in seinen Karriereansprüchen nicht durch den Partner beeinträchtigen lassen, der andere strebt zwar keine Karriere an, möchte aber auch nicht einfach den ganzen Kram für Haushalt und Kindererziehung übernehmen.
Das Vorliegen einer Kollusion lässt sich dann vermuten, wenn die Partner sich mit ihren Vorwürfen in einer Leerlaufspirale fest schreiben gemäß: »ich bin nur so, weil du so bist« . Wenn beide diese Haltung einnehmen, werden sie mit ihren Vorwürfen ständig eskalieren und einander fixieren. Partner, die in eskalierenden Leerlaufspiralen gefangen sind, werden dabei immer unfähiger, aufeinander hinzuhören und sich mit sich auseinander zu setzen. Mit der direkten Veränderung des Kommunikationsverhaltens bei eskalierender negativer Konfliktdynamik befasst sich auch die Verhaltenstherapie mit Paaren, über die 2004 Guy Bodenmann ein kompetentes Buch verfasst hat. In Ergänzung zu einem verhaltensorientierten Vorgehen bietet das Kollusionskonzept die Möglichkeit an, die Bearbeitung derartiger Leerlaufspiralen mit dem Ausleuchten ihrer paardynamischen Hintergründe zu erweitern.
Wenn in einem Nähe-Distanz-Konflikt Partner A sagt: »Ich brauche mehr Freiheit, weil du mich einengst«, wird Partner B entgegnen: »Ich möchte mehr Nähe, weil du dich immer im Unverbindlichen halten willst und dich auf nichts festlegen kannst«. A ist also der Vertreter der Distanz, B dagegen der Vertreter der verbindlichen Nähe. Dabei drängen die beiden Partner einander oftmals in eine Gegenposition, die sie aus eigener Motivation gar nicht in diesem Maße anstreben: A wird finden, in der Enge der Paarbeziehung könne er sich nicht entfalten. B dagegen fühlt sich verantwortlich für den Zusammenhalt der Beziehung und glaubt, wenn er den Partner nicht begrenze, werde dieser den Bestand der Beziehung aufs Spiel setzen. Die Extremtendenz des einen provoziert die Extremtendenz des andern und umgekehrt. Vielleicht würde A gar nicht so sehr auf seine Freiheit pochen, wenn B ihn nicht kontrollieren und ihm nachspionieren würde. B andererseits würde vielleicht gar nicht so beunruhigt über das Verhalten von A sein, wenn dieser seine Freiheitsansprüche nicht so provokativ an ihn herantragen würde. Nun bringen die beiden Partner eine Tendenz zu ihren Extremhaltungen nicht selten bereits in die Beziehung mit, nämlich eine Tendenz zu Beunruhigung durch das Beziehungsthema Nähe-Distanz . Sie tendieren dann aus geringfügigen Anlässen zu übertriebenen Reaktionen, und wenn die Tendenzen beider Seiten miteinander korrespondieren, sind die Voraussetzungen zur Bildung eines kollusiven Leerlaufzirkels gegeben. A möchte beispielsweise keinesfalls so in der Beziehung eingeengt werden, wie er es früher von seiner besitzergreifenden Mutter erfahren hat. B dagegen ist traumatisiert durch das unerwartete Verlassenwerden von seinem früheren Partner. Beide reagieren überempfindlich nach der Devise: »Wehret den Anfängen« . Beide möchten nicht die destruktiven Eskalationen früherer Beziehungen wiederholen. Vielmehr möchten sie mit der Wahl ihres Partners die Herausforderung annehmen, sich aus den vorbestehenden Konfliktbereitschaften hinauszuarbeiten. Das heißt, es liegt eine Entwicklungsambivalenz vor: A möchte in der Beziehung lernen, seine Freiheiten in einer festen Beziehung zu bewahren. Im Grunde sehnt er sich aber auch nach verlässlicher Bindung, die er mit der Wahl seines Partners gesichert zu haben glaubt. Partner B dagegen möchte lernen, sich voll Vertrauen in eine partnerschaftliche Nähe einzulassen. Es bleibt aber eine gewisse Überempfindlichkeit auf jeden Verdacht eines Liebesverrates. Erstaunlich ist: Wenn Partner B es im Rahmen der Therapie aufgeben will, die Verantwortung für den Zusammenhalt der Beziehung alleine zu tragen und nun selbst an Trennung denkt, kehrt Partner A sein Verhalten plötzlich um und setzt alles daran, die Beziehung zusammenzuhalten. Wenn andererseits im Zusammenhang mit einer Therapie Partner A auf den Punkt kommt, selbst mehr Verantwortung für den Zusammenhalt der Beziehung zu übernehmen, treten nicht selten bei B Ängste vor zu enger Bindung und damit Freiheitsbedürfnisse auf. Beide sind also ambivalent fasziniert vom Thema Nähe-Distanz in einer Liebesbeziehung. Sie hoffen miteinander korrigierende Erfahrungen zu machen, doch beide sind voller Angst, es könnte dabei erneut schief gehen. Es ist denkbar, dass die Partner unbewusst eine Person gewählt haben, die bezüglich des empfindlichen Themas eine heilende Herausforderung zu bieten scheint.
In »Die Zweierbeziehung« ( 1975 ) habe ich vier Kollusionsmuster beschrieben, die damals besonders häufig zu beobachten waren:
- Die Helferkollusion (orale Kollusion ), bei der es um »Liebe als Umsorgtwerden « geht, wo der eine Partner besonders motiviert ist, sich die Liebe des anderen durch Spenden von Fürsorglichkeit zu verdienen, der andere aber den Beweis einer bisher vermissten Liebe im Verwöhntwerden durch den Partner sieht.
- In der patriarchalischen Kollusion (anal-sadistische Kollusion ) geht es um »Liebe durch gesicherte Abhängigkeit«, wo der eine sich dem Führungsanspruch des anderen bedingungslos unterzieht, wobei der Partner in Führungsposition genauso abhängig von der Gefolgschaft des anderen ist, wie dieser den Führenden durch seine Abhängigkeit zu manipulieren versteht.
- Bei der Kollusion des Sozialprestiges (phallische Kollusion ) geht es um »Liebe als Sozialprestige«, wobei der eine mit seinen Erfolgen die bedingungslose Bewunderung des anderen auf sich zieht, dieser ihm aber die Bewunderung jederzeit entziehen kann, wenn er sich vom ersteren dominiert fühlt.
- Bei der narzisstischen Kollusion geht es um die Verschmelzung der Partner zu einer harmonischen Einheit, um den Anspruch des einen, das gemeinsame Selbst zu verkörpern, während der andere als Komplementärnarzisst ganz für diesen lebt, scheinbar, ohne Ansprüche auf eigene Selbstverwirklichung zu stellen. Dadurch, dass er sich mit der Selbstverwirklichung des anderen überidentifiziert, bringt er diesen unter seinen Einfluss, ohne Verantwortung für seine eigene Persönlichkeitsentfaltung übernehmen zu müssen.
Diese vier Kollusionsmuster lehnen sich an die psychoanalytischen Entwicklungsstufen der Libido an. Wie ich schon 1975 betont habe, geht es dabei nicht um diagnostische Kategorien, vielmehr sind auch andere Kollusionsmuster denkbar. Das entscheidende Kriterium ist, dass die Partner durch den Interaktionszirkel »ich bin so, weil du so bist« miteinander verklammert sind, sowohl als positive Attraktion bei der Partnerwahl wie als negative Interaktion im aktuellen Konflikt. Das polarisierte Verhalten der Partner zeigt sich oftmals darin, dass der eine Partner ein eher regressives Verhalten einnimmt, der andere eher ein progressives, scheinbar erwachsenes und überlegenes Verhalten. Beide Partner brauchen einander in dieser Polarisierung, die ihnen Anlass und Begründung ihres eigenen Verhaltens ist und gleichzeitig Möglichkeiten anbietet, den Partner in seiner Rolle zu kontrollieren.
Insbesondere die Lektüre der kommentierten Therapieprotokolle von »Helga und Stani «, die in diesem Buch einen großen Raum einnehmen (s. Kap. 12 ), kann den Leserinnen und Lesern behilflich sein, den therapeutischen Prozess einer kollusiv gestalteten Paartherapie nachzuvollziehen.
Wie immer stehe auch ich in diesem Buch vor dem sprachlichen Dilemma der Geschlechtsbezeichnung. Um sprachliche Komplikationen und Umständlichkeiten zu vermeiden, werde ich die in unserer Umgangssprache übliche männliche Form benützen, also von »der Therapeut«,»der Patient« und »der Partner« sprechen, sofern sich nicht eine brauchbarere geschlechtsneutrale Formulierung anbietet.

Klett-Cotta Fachbuch
1. vollständig überarbeitete Neuausgabe 2008, 368 Seiten, Gebunden
ISBN: 978-3-608-94522-5
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Jürg Willi

Jürg Willi, Prof. Dr. med. Dr. h. c., war ein Psychoanalytiker und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Bis 1999 war er Direktor der ...

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