»Das Leben im Griff haben«
Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi über Wege zum Hochgefühl
FOCUS: Kann man Glück kaufen? Indem man zum Beispiel nach Disneyland fährt oder auf einem "Traumschiff" durch die Karibik schippert?
Csikszentmihalyi: Käufliches Glück ist keine Langzeitlösung. In Disneyland zu sein vertreibt zwar die Routine des täglichen Lebens. Aber es gibt den Leuten nicht das Gefühl, daß sie ihr Leben im Griff haben - und daß sie etwas erreichen , auf das sie stolz sein können.
Die Vorstellung, daß Glück durch Konsumieren zu erreichen ist, ist eine sehr alte Idee, aber keine gute.
FOCUS: Wie kann Reisen und Urlaub machen überhaupt zu einem Ereignis mit Flow werden - einer Glückserfahrung, die aus geistiger und körperlicher Anstrengung erwächst?
Csikszentmihalyi: Zum Beispiel, indem man antizipiert, wohin man reist. Man sollte sich vorstellen, wie es sein wird, wenn man diese Kirche in Spanien oder dieses Korallenriff in Australien besichtigt.
Wenn man eine Erwartung entwickelt hat, kann man später vergleichen. Wer keine neuen Fähigkeiten erlernt, wenn er an einen neuen Ort kommt, profitiert auch nicht sehr davon.
Bevor Goethe nach Italien fuhr, hat er sich ausführlich vorbereitet, und er genoß jeden Moment.
FOCUS: »Positive Denker« raten uns: Sorge dich nicht - lebe. Oder, wie es im Song heißt: Don't worry, be happy!
Csikszentmihalyi: Richtig daran ist, daß die Wertschätzung des Lebens auch davon abhängt, wie wir über es denken. Aber Einstellungen wie: »Nimm das Leben so, wie's eben kommt führen in die Irre. Man muß wissen, was man erreichen will, sich die Fähigkeiten dafür anzueignen und Freude daran haben, das Ziel zu verfolgen.
FOCUS: Sie betonen die Bedeutung von Berufsarbeit für Flow.
Csikszentmihalyi: Bei den Firmen, die ich kenne, leisten Angestellte mit Flow zwei- bis dreimal soviel wie ihre Kollegen. Viele Arbeitnehmer denken, sie wären glücklicher, wenn sie weniger arbeiten würden. Oder wenn sie bei der Arbeit Ablenkung hätten, etwa Radio hören würden. Was wirklich glücklich machen würde, wäre, die Arbeit besser zu tun.
FOCUS: Auch die Arbeitgeber profitieren ja vom Schaffensglück ihrer Mitarbeiter.
Csikszentmihalyi: Die Verhältnisse am Arbeitsplatz sind oft zu antagonistisch: Das Management ignoriert Bedürfnisse der Mitarbeiter, und die revanchieren sich dafür mit Gleichgültigkeit - ein Teufelskreis. Beide Seiten sollten versuchen, die Sache als Joint-venture zu betrachten
FOCUS: Wie können die Arbeitsverhältnisse im Sinne von Flow verändert werden?
Csikszentmihalyi: In der traditionellen industriellen Sphäre denkt man immer noch, daß Mitarbeiter ihre Individualität vergessen und Teil einer Maschine werden - mit entsprechenden Resultaten. In der Computer- und Softwareindustrie ist es heute hingegen selbstverständlich, daß die Mitarbeiter autonom und so selbstverantwortlich wie möglich arbeiten sollen.
FOCUS: Wovon bekommen Sie den meisten Flow?
Csikszentmihalyi: Früher vom Schachspielen und Bergsteigen. Ich habe auf Turnieren gespielt und einige Erstbesteigungen in den Rocky Mountains gemacht. Jetzt vom Wandern. Und vom Schreiben und Daten auswerten.
Focus Nr. 9 vom 1.3.1999. Das Gespräch führte Frank Gerbert.
Flow
bezeichnet einen Zustand des Glücksgefühls, in den Menschen geraten, wenn sie gänzlich in einer Beschäftigung »aufgehen«. Entgegen ersten Erwartungen erreichen wir diesen Zustand nahezu euphorischer Stimmung meistens nicht beim Nichtstun oder im Urlaub, sondern wenn wir uns intensiv der Arbeit oder einer schwierigen Aufgabe widmen.
Mihaly Csikszentmihalyi bei Klett-Cotta: FLOW: Das Geheimnis des Glücks Das Flow-Erlebnis Flow im Beruf Lebe gut! Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben Kreativität.
Leseprobe
Wer wirklich leben will, der fängt am besten gleich damit an. Wer das nicht will, kann's ja bleiben lassen, doch stirbt er dann. W. H. Auden
Die oben wiedergegebenen Zeilen eines Gedichts von W. H. Auden drücken in komprimierter Form aus, worum es im vorliegenden Buch geht. Wir stehen vor einer einfachen Wahl: Zwischen dem Jetzt und dem unvermeidlichen Ende unserer Tage können wir entscheiden, zu leben oder zu sterben. Insofern wir auf die Bedürfnisse des Körpers achten, ist die biologische Existenz ein automatischer Prozeß. »Leben« in dem Sinne, in dem Auden davon spricht, ist jedoch ein Vorgang, der keineswegs von selbst abläuft. In Wirklichkeit verschwört sich alles dagegen: Geben wir unserem Leben keine Richtung, so wird es von außen beherrscht werden und dem Ziel irgendeiner anderen treibenden Kraft dienen. Biologisch programmierte Instinkte werden dafür sorgen, daß es nur reproduziert, was wir an genetischem Material mitbringen; die Kultur wird dafür sorgen, daß es zur Verbreitung ihrer Wertvorstellung und institutionalisierten Sitten eingesetzt wird; und andere Menschen werden zur Durchsetzung ihrer Interessen und Bedürfnisse möglichst viel von unserer Energie abzweigen wollen. Und all das vollzieht sich ohne Rücksichtnahme darauf, welche Wirkung irgendeine dieser Gegebenheiten auf uns haben wird. Man kann und darf aber von niemandem erwarten, daß er uns hilft zu leben. Wie wir leben wollen - das müssen wir selber herausfinden. (...)
Die Qualität des Lebens hängt davon ab, was wir im Laufe der rund siebzig Jahre, die uns beschieden sind, tun, sowie davon, was während dieses Zeitraums in das Bewußtsein dringt. In der Regel wirken sich die verschiedenen Tätigkeiten in recht vorhersehbarer Weise auf die Qualität des Erlebens aus. Wenn wir im ganzen Leben nur deprimierende Dinge tun, werden wir am Ende wohl kaum ein glückliches Leben geführt haben. Normalerweise hat jede Tätigkeit positive wie negative Eigenschaften. Wenn wir beispielsweise essen, sind wir zumeist positiver gestimmt als sonst, eine graphische Darstellung des Glücksniveaus einer Person im Laufe eines Tages ähnelt dem Profil der Golden Gate Bridge über der San Francisco Bay, wobei die höchsten Punkte der Brücke den Essenszeiten entsprechen. Gleichzeitig ist die Konzentration beim Essen zumeist recht niedrig, und man erlebt auch nur selben flow.
Dabei sind die Auswirkungen unserer Tätigkeit auf die Psyche nicht linear, sie stehen vielmehr in einer systemischen Wechselbeziehung zu all unserem sonstigen Tun. Zum Beispiel: Essen ruft zwar Wohlgefühl hervor, doch werden wir keine Glücksgefühle erreichen, wenn wir rund um die Uhr essen. Das Einnehmen von Mahlzeiten steigert das Glücksempfinden nur, wenn wir rund 5 Prozent der Wachzeit mit Essen verbringen; verbrächte man 100 Prozent des Tages mit Essen, wäre es rasch nicht mehr lohnend. Dasselbe gilt für die anderen schönen Dinge im Leben: Sex, Sich-Entspannen, Fernsehen. In dosierter Menge können sie die Qualität unseres Alltags zwar ganz beträchtlich steigern, aber ihre Wirkungen summieren sich nicht.