Siebzig verweht III

Buchdeckel „978-3-608-93194-5
Dieses Buch erwerben
40,00 EUR (D), 41,20 EUR (A)
Gebunden
Versandkostenfrei nach D, CH, A; hier inkl. Mwst. - >> Lieferinformationen - Einzelheiten zu Ihrem Widerrufsrecht finden Sie in den >> AGBs. - >> Akzeptierte Zahlungsmittel

Als Höhepunkt des Tagebuchwerkes, das Ernst Jünger im Zweiten Weltkrieg mit den »Gärten und Straßen« begann, können die fünf Bände von »Siebzig verweht« gelten.

Im Tagebuch gibt sich der Autor von Tag zu Tag und, insofern er, wie Jünger das tut, seine Träume als wesentliche autobiographische Elemente einbezieht, von Nacht zu Nacht Rechenschaft; er läßt den Leser an seiner Entwicklung teilnehmen. Notiert werden Begegnungen mit Menschen, Büchern und Bildern, mit Tieren, Pflanzen und Landschaften. Oft werden diese Begegnungen lediglich in einem kurzen Aphorismus fixiert, oft setzen sie auch Ketten von Reflexionen und Assoziationen in Bewegung, die bei aller thematischen Vielfalt auf überraschende Weise stets von neuem konvergieren.

Es entsteht eine teils soghafte Sprache aus der für Jünger so charakteristischen Mischung aus Tagebuchnotaten, Briefen, Reflexionen und Kommentaren. Dieser Band umfasst dabei die Tagebücher der Jahre 1981 bis 1985.

Hier gelangen Sie zu den weiteren Bänden von »Siebzig verweht«:
– Siebzig verweht II
– Siebzig verweht IV
– Siebzig verweht V

Die Tagebücher Jüngers sind auch als kartonierte Ausgabe im Schmuckschuber erhältlich.


Alle Bücher von Ernst Jünger - mit den Sämtlichen Werken

Leseprobe

Siebzig verweht III

Wilflingen, 1. Januar 1981

Blick aus dem oberen Fenster: das Land zeigt dunkle Konturen, wie oft, wenn es auf den Schnee geregnet hat.
Vor einigen Tagen hatten wir starken Nebel, den die Sonne nicht zu durchdringen vermochte, doch lösten sich ihre Strahlen zu einem rosigen Schimmer auf. Vielleicht hat es auf unserem oder anderen Planeten diese Stimmung im Großen gegeben: Helios kündigt sich durch Morgenröte an. Er wird, noch nicht gesehen, durch Jahrhunderte geahnt.
*

Ein neues Jahr beginnt. Persönlich könnte ich mit dem vergangenen zufrieden sein, indes beschattet der Mißstand der Welt und insbesondere des eigenen, zerrissenen Landes Tag und Nacht das Gemüt. Es ist ein Nachteil der historischen Erziehung, daß die Bindung nicht gelöst werden kann. Man irrt noch, wie Hannibal nach Zama, eine Zeitlang in der Fremde umher.
Der Wert des Menschen sinkt ständig; man darf sich nicht an die großen Worte halten, die billiger denn je geworden sind, sondern muß die Realitäten sehen. Zu ihnen zählt die Geiselnahme; von Banditen werden Millionen, von Staaten Milliarden als Kopfgeld verlangt. Der materielle Wert des Menschen wird maßlos übertrieben, das Geheimnis seiner Tugend nicht mehr gesehen.
Sodann die ungeheure und kurzlebige Verblendung der Massen – in diesen Tagen wieder am großen Vorsitzenden Mao dokumentiert. Das Prachtgewand des noch vor kurzem Vergöttlichten blättert wie Rauschgold ab.
*

Wunderlich berührt mich immer noch, daß man nach einst sagenhaften Orten, etwa nach Singapur, nicht nur telefonieren, sondern sogar »durchwählen« kann. Ich führte das erste Gespräch des Jahres dorthin mit Wolfram Dufner, den wir im Februar besuchen wollen, und erfuhr, daß soeben große Falter um das Schwimmbecken flatterten. Ich hoffe auf ein Wiedersehen auch mit den Mangrovesümpfen – die Stimmung dort, der Übergang von einem Element zum anderen, ähnelt unserer Weltlage.
*

Das erste Kalenderblatt zeigt das Porträt des englischen Poeten Davison, gemalt von Louise Breslau (1856–1927). Die Namen beider Künstler fand ich nicht in meiner Handbibliothek – trotzdem wundert es mich, daß ein so bedeutendes Werk mir bislang entgangen ist.
Der Impressionismus eignet sich besonders für das Porträt – vielleicht wäre hinzuzufügen: soweit es unserer Auffassung von der Person entspricht. Es genügt allerdings nicht, den Impressionismus zwischen dem Naturalismus und dem Expressionismus anzusiedeln – etwa zwischen Leibl und Beckmann; er gibt eine Stimmung, die sich im Wandel der Zeit wiederholt.
*

Über den Jahreswechsel hinweg beschäftigt mich Gregor von Nyssa mit seiner Erklärung der Auferstehung als der Rückkehr in die vollkommene Natur. Dem entspricht die ungemein kühne Ansicht des Origines, daß die Schöpfung nur ein Niederschlag aus dem Vollkommenen sei, Beide Meinungen fordern einander geradezu heraus.
In dieser Hinsicht läßt sich auch das Kunstwerk als Niederschlag bezeichnen: der Künstler erinnert sich im Tiefsten einer Vollkommenheit, die er nie erreicht.
Was ist die Rolle der Götter dabei? Vielleicht die von Türöffnern. Doch wenn ihr Äon endet, betreten sie als Letzte den Palast. Die Gebete verhallen an der Mauer; sie wirken nicht mehr.

Ludwigsburg, 3. Januar 1981

Zur Tagung der Südwestdeutschen Entomologen, wie alljährlich um diese Zeit.
Unterwegs im Radio Nachrichten. Dabei eine der jedem Autofahrer bekannten Störungen: der Ton fällt unter Brücken und Leitungen aus, oder er wird korrumpiert. Daß wir uns in einem Geflecht von Strahlungen bewegen, von dem wir nur einen Faden oder das wir überhaupt nicht wahrnehmen, wird uns erst durch ein solches Manko bewußt.
Wir dürfen wohl auch vermuten, daß diese Differenzen erheblich auf unser Befinden einwirken, ähnlich wie der Luftdruck bei Föhn. Doch fehlt uns ein spezielles Organ für elektrische Einflüsse, wie sie uns für das Licht oder den Schall gegeben sind. Die Natur hat darauf verzichtet wie vermutlich auf andere Möglichkeiten auch – etwa die unmittelbare Wahrnehmung der Kernstrahlung.
Daß die Elektrizität in den organischen Haushalt eingegliedert werden könnte, deutet sich in Geschöpfen wie den Rochen und den Zitteraalen an. Fähigkeiten, die wir erst spät durch Apparate entwickelt haben, würden uns auf natürliche Weise zu eigen sein. Ein großer Teil der Nachrichtentechnik wäre überflüssig – und davon abgesehen, ließe sich an ein kollektives Gehirn denken, also an eine völlig andere Welt.
*

Bei den Entomologen wurde eine »Rote Liste« verteilt – ein Verzeichnis von Tieren, die unter Naturschutz gestellt worden sind. Das scheint löblich, wenn man nicht näher hinsieht, ist aber im Grunde lächerlich. Als ich in Wilfingen einzog, fand ich Massen von Insekten, die dort inzwischen ausgestorben sind. Allein die Obstbäume auf den Wiesen werden an siebzehn Mal gespritzt. Ich präparierte damals zwei oder drei Exemplare und sicherte damit den Arten wenigstens die museale Existenz.

Klett-Cotta
1. Aufl. 1993, 594 Seiten, Gebunden
ISBN: 978-3-608-93194-5
autor_portrait
© Ulf Andersen

Ernst Jünger

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die ...

Weitere Bücher von Ernst Jünger

Siebzig verweht I-V

Die Tagebücher 1965-1996

Tagseite - Nachtseite

Maximen und Gedanken aus dem Werk Ernst Jüngers

Das Abenteuerliche Herz. Erste Fassung

Aufzeichnungen bei Tag und Nacht

An der Zeitmauer

Mit Adnoten von Detlev Schöttker

Der Arbeiter

Herrschaft und Gestalt

In Stahlgewittern

Mit einem Nachwort von Helmuth Kiesel

Sämtliche Werke - Leinenausgabe

Aktions-Paket mit den noch lieferbaren Bänden

Der Waldgang

Mit Adnoten von Detlev Schöttker

Sämtliche Werke. Werkausgabe in 22 Bänden, komplett / Supplement-Ausgabe / Späte Arbeiten. Verstreutes. Aus dem Nachlass

Siebzig verweht V. Unveröffentlichte Reisenotizen. Eine gefährliche Begegnung. Verstreutes (Unveröffentlichtes)

Sämtliche Werke, Band 19

1. Supplement-Band. Essays IX. Fassungen III - Halblederausgabe

Sämtliche Werke, Band 20

2. Supplement-Band. Tagebücher VII. Strahlungen V: Siebzig verweht III - Halblederausgabe

Sämtliche Werke, Band 21

3. Supplement-Band: Tagebücher VIII. Strahlungen VI: Siebzig verweht IV - Halblederausgabe

Annäherungen

Drogen und Rausch

Ein abenteuerliches Herz

Ernst-Jünger-Lesebuch

Zur Geiselfrage

Schilderung der Fälle und ihrer Auswirkungen

Letzte Worte

Hrsg. von Jörg Magenau

Atlantische Fahrt

«Rio - Residenz des Weltgeistes»

In Stahlgewittern

Historisch-kritische Ausgabe

Sämtliche Werke - Band 1

Tagebücher I: Der Erste Weltkrieg

Sämtliche Werke - Band 2

Tagebücher II: Strahlungen I

Sämtliche Werke - Band 3

Tagebücher III: Strahlungen II

Sämtliche Werke - Band 4

Tagebücher IV: Strahlungen III

Sämtliche Werke - Band 5

Tagebücher V: Strahlungen IV

Sämtliche Werke - Band 6

Tagebücher VI: Strahlungen V

Sämtliche Werke - Band 7

Tagebücher VII: Strahlungen VI, Strahlungen VII

Sämtliche Werke - Band 8

Tagebücher VIII: Reisetagebücher

Sämtliche Werke - Band 9

Essays I: Betrachtungen zur Zeit

Sämtliche Werke - Band 10

Essays II: Der Arbeiter

Sämtliche Werke - Band 11

Essays III: Das Abenteuerliche Herz

Sämtliche Werke - Band 12

Essays IV: Subtile Jagden

Sämtliche Werke - Band 13

Essays V: Annäherungen

Sämtliche Werke - Band 14

Essays VI: Fassungen I

Sämtliche Werke - Band 15

Essays VII: Fassungen II

Sämtliche Werke - Band 16

Essays VIII: Fassungen III

Sämtliche Werke - Band 18

Erzählende Schriften I: Erzählungen

Sämtliche Werke - Band 19

Erzählende Schriften II: Heliopolis

Sämtliche Werke - Band 20

Erzählende Schriften III: Eumeswil

Sämtliche Werke - Band 21

Erzählende Schriften IV: Die Zwille

Sämtliche Werke - Band 22

Supplement-Band: Späte Arbeiten - Aus dem Nachlass

Krieg als inneres Erlebnis

Schriften zum Ersten Weltkrieg

Auf den Marmorklippen

Roman. Mit Materialien zu Entstehung, Hintergründen und Debatte

Gespräche im Weltstaat

Interviews und Dialoge 1929-1997

Geheime Feste

Naturbetrachtungen

Strahlungen

Die Tagebücher des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit (1939-1948) Historisch-kritische Ausgabe herausgegeben von Joana van de Löcht und Helmuth Kiesel


Unser Service für Sie

Zahlungsmethoden
PayPal (nicht Abos),
Kreditkarte,
Rechnung
weitere Infos

PayPal

Versandkostenfreie Lieferung
nach D, A, CH

in D, A, CH inkl. MwSt.
 
weitere Infos

Social Media
Besuchen Sie uns bei


www.klett-cotta.de/im-netz
Facebook Twitter YouTube
Newsletter-Abo

Klett-Cotta-Verlag

J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH
Rotebühlstrasse 77
70178 Stuttgart
info@klett-cotta.de