Vom Glück, lernen zu dürfen

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Wie die Lust am Lernen uns glücklich macht

Mit hektischem Aktionismus reduziert die Politik die Bildung auf ihre ökonomische Verwertbarkeit. Vor dem Hintergrund der großen vor uns liegenden Herausforderungen zeigt der Autor Wege auf, wie Lernen wieder als Glück begriffen werden kann. Dabei verweist er uns auf die Einsichten und Erfolg versprechenden Bildungsvorstellungen, die von den Denkern der Aufklärung entwickelt wurden.

»Jürgen Overhoff, das kann man nach der Lektüre sagen, hat das Gute aus sich herausgebracht. Sein Buch ist flüssig, angenehm unakademisch und kurzweilig geschrieben...«
Gerrit Bartels (Kulturradio, 26.05.2009)

»Das Buch von Overhoff habe ich in einem Zug verschlungen. Es ist das beste, was ich in diesem Jahr gelesen habe.«
Gerhard Roth (einer der bedeutendsten Hirnforscher in Deutschland; Präsident der "Studienstifung des deutschen Volkes")

Mit hektischem Aktionismus reduziert die Politik die Bildung auf ihre ökonomische Verwertbarkeit. Doch Bildung ist viel mehr als das. Der Schlüssel zu einem menschlichen Verständnis von Bildung liegt in den Erkenntnissen der Vergangenheit. Der Autor zeigt, wie Lernen wieder als Glück begriffen werden kann.

Jürgen Overhoff wendet sich gegen die vorherrschende eindimensionale Lesart des Lernens als Zwang und Notwendigkeit: Er zeigt, wie die Begründer der modernen Erziehung - von Locke über Rousseau bis hin zu Kant - das Lernen auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten vorrangig als Zeichen der menschlichen Würde und Freiheit begriffen haben. Einfühlsam schreibt er über die zwölf wichtigsten Tugenden, die von den führenden Aufklärern des 18. Jahrhunderts mit Verve propagiert wurden:
- Wissbegierde
- Neugier
- Anschauung
- Vernunft
- Einbildungskraft
- Aufrichtigkeit
- Gemeinnützigkeit
- Mitgefühl
- Toleranz
- Gottvertrauen
- Chancengleichheit und
- Selbstdisziplin

Ein Panorama des aufklärerischen Denkens
 

Inhaltsverzeichnis


Prolog oder Das Lernen als große Verheißung
1. Wißbegierde: John Locke oder
Die ungetrübte Lust am Lernen [ LONDON 1693 ]
2. Anschauung: Joseph Addison oder
Die Kunst der genauen Beobachtung [ LONDON 1711 ]
3. Vernunft: Hermann Samuel Reimarus oder
Der rechte Gebrauch des Verstandes [ WISMAR 1723 ]
4. Einbildungskraft: Johann Jakob Bodmer oder
Die Einsichten der Phantasie [ ZÜRICH 1740 ]
5. Aufrichtigkeit: Christian Fürchtegott Gellert oder
Die Reinheit des Lernwillens [ LEIPZIG 1744 ]
6. Gemeinnützigkeit: Benjamin Franklin oder
Der Ertrag des Lernens [ PHILADELPHIA 1749 ]
7. Mitgefühl: Jean-Jacques Rousseau oder
Das besondere Wissen der Tränen [ PARIS 1762 ]
8. Toleranz: Johann Bernhard Basedow oder
Die Vielgestaltigkeit der Wahrheit [ DESSAU 1774 ]
9. Gottvertrauen: Moses Mendelssohn oder
Die Grenzen der Erkenntnis [ BERLIN 1783 ]
10. Chancengleichheit: Mary Wollstonecraft oder
Die Freisetzung aller Talente [ LONDON 1792 ]
11. Selbstdisziplin: Immanuel Kant oder
Die Überwindung der eigenen Trägheit [ KÖNIGSBERG 1803 ]
Epilog oder
Unser pädagogisches Erbe der Aufklärung
Dank
Ausgewählte Literatur



Leseprobe


Prolog oder Das Lernen als große Verheißung
Spätestens seit dem PISA -Schock und gerade auch im Zuge der fortschreitenden Globalisierung der Wirtschaft wird von deutschen und europäischen Bildungspolitikern jeglicher Couleur immer häufiger und mit immer größerem Nachdruck die Forderung vorgetragen, daß lebenslanges Lernen nunmehr eines der überragenden Gebote der Stunde sei. Dabei wird das Lernen vorrangig als zentrale Aufgabe jedes gewissenhaften Bürgers definiert, der danach strebt, auf dem immer anspruchsvolleren Arbeitsmarkt der sich formierenden Wissensgesellschaft mithalten zu können. Augenscheinlich erlauben es die rasanten Veränderungen im Arbeitsleben unserer Gesellschaft kaum noch, ein Leben lang im gleichen Beschäftigungsfeld tätig zu sein. Das beständige Hinzulernen, die stetige Weiterbildung, so scheint es, ist demnach eine der ersten Bürgerpflichten geworden, die man auch schon Kindern (möglichst im Vorschulalter) beizeiten nahe bringen sollte.
An immer neuen Bildungsprogrammen, die lebenslanges Lernen als Leitlinie und offizielles Ziel europäischer und deutscher Bildungspolitik ausweisen, herrscht denn auch kein Mangel. Die meisten der aktuellen deutschen Programme sind den einschlägigen Vorgaben der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung verpflichtet, wie sie in der 2004 veröffentlichten Strategie für Lebenslanges Lernen in der Bundesrepublik Deutschland nachzulesen sind. Mit ihrer Empfehlung, »lebenslanges Lernen zu einer Selbstverständlichkeit in jeder Bildungsbiografie werden zu lassen«, ist die deutsche Bund-Länder-Kommission wiederum einer entsprechenden Entschließung des Rates der Europäischen Union aus dem Jahr 2002 gefolgt, in der sämtliche Mitglieder der Staatengemeinschaft ausdrücklich ersucht werden, »umfassende und kohärente Strategien« zur Förderung des lebenslangen Lernens auszu arbeiten. Denn erst wenn alle ständig lernen, so der Europäische Rat, wird »die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt« werden können, der allein »ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen« garantiert.
Das Urdokument und zugleich der gemeinsame Bezugspunkt all dieser Bestrebungen ist jedoch das bereits im Jahr 2000 von der Europäischen Kommission verabschiedete Memorandum über Lebenslanges Lernen . In dieser Denkschrift sind erstmals jene bildungspolitischen Leitvorstellungen und Standards in verbindlicher Form definiert worden, die seither »richtungsweisend für die künftige Politik und Aktionen der Europäischen Union« sind. Wer immer heute im nationalen, europäischen oder auch regionalen Rahmen öffentliche Gelder zur Finanzierung von Förderprogrammen beantragt, die dem lebenslangen Lernen gewidmet sind, wird deshalb kaum umhin kommen, in seinen Projektvorschlägen Geist und Gehalt des Memorandums genau zu beachten und grundsätzlich zu bejahen.
Leider zeugt der Wortlaut des Memorandums von ei ner sehr eindimensionalen Lesart des Lernens, da er nahezu ausschließlich die ökonomische Bedeutung des Lernens betont, was sich auch in den auf ihn bezogenen und bereits zitierten deutschen Bildungsprogrammen in aller Eindeutigkeit widerspiegelt. Darüber hinaus ist der Text der Denkschrift von einer derartigen Krisenrhetorik geprägt, daß den Leser notgedrungen das beklemmende Gefühl beschleicht, mit einer unvergleichlich schwierigen, ja gefährlichen historischen Situation konfrontiert zu sein. Tatsächlich weist das Memorandum unentwegt darauf hin, daß die Art und Weise, wie moderne Volkswirtschaften »den Wettbewerb untereinander austragen«, heute sehr viel »größere Risiken und Unsicherheiten« für den einzelnen Bürger mit sich bringt, als die wirtschaft-lichen Gepflogenheiten früherer Jahre.
So erlebten die europäischen Nationen momentan einen noch nie dagewesenen, »tiefgreifenden Wande[l] der Produktionsverfahren, der Handelsströme und der Investitionsmuster«, der die eingefahrenen und zur Gewohnheit gewordenen Lebens- und Arbeitsmuster zwangsläufig zu Auslaufmodellen degradiere. Vor allem die »digitale Technik«, die fundamentale »Änderungen in sämtlichen Bereichen des Lebens der Menschen herbeiführe«, mache völlig neue Kenntnisse erforderlich. Verstärkt gefragt sei daher die Tugend der raschen »Anpassungsfähigkeit«, um den sich wandelnden gesellschaftlichen und beruflichen Anforderungen zu entsprechen und damit die eigene Arbeitsfähigkeit erhalten zu können. Die möglichst zügige und flächendeckende Implementierung lebenslangen Lernens sei daher auch eine »unabdingbare Voraussetzung« für »die Beschäftigungsfähigkeit im Europa des 21. Jahrhunderts«. Sie sei geradezu der »Schlüssel« zum persönlichen Erfolg in der »wissensbasierten Gesellschaft und Wirtschaft« der Zukunft. Denn nur der permanent lernwillige, »von der Wiege bis zum Grab« täglich hinzulernende Mensch werde verläßlich dazu befähigt, in der »Informationsgesellschaft« überhaupt bestehen und flexibel auf die sich rasant verändernden Umweltbedingungen reagieren zu können. Wer nicht lernt, nicht lernen will, nicht lernen kann, bleibt also - wie es im Memorandum resümierend und ohne Ironie in bewußt drastischen Worten heißt - »auf der Strecke«.
Nun ist diese (Über-)betonung der ökonomischen Bedeutung eines lebenslangen Lernens möglicherweise sachlich nicht ganz falsch, doch klingt sie wenig verheißungsvoll. Denn durch den suggestiven Verweis auf machtvolle wirtschaftliche Zwänge wird die Aufforderung zum beständigen Lernen doch eher als eine bedrückende Botschaft empfunden. Im Vordergrund steht eine neue Beschwernis, die Last, nicht die Lust des Lernens. Doch geht es beim Lernen wirklich in der Hauptsache darum, sich an seinem jeweiligen (nationalen) »Standort« gut »aufzustellen«, um dann aufdringliche Wettbewerber mit einer gezielt lancierten »Bildungsoffensive« auszustechen ? Ist das Lernen tatsächlich seinem innersten Wesen nach eine Art Überlebenstraining, das notgedrungen absolviert werden muß, wenn man seine wirtschaftliche Existenz sichern will? Muß man wirklich gezwungenermaßen Tag für Tag aufs neue lernen, oder ist es nicht viel eher ein Zeichen der persönlichen Freiheit , also ein Privileg und ein großes Glück, lernen zu dürfen ?
Vielleicht könnten europäische und deutsche Bildungspolitiker ein größeres Maß an Gelassenheit zurückerobern und bessere, weil menschenwürdigere Begründungen für die Bedeutung des lebenslangen Lernens liefern, wenn sie dafür zu gewinnen wären, den gegenwärtigen gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel mit durchaus ähnlichen Entwicklungen der europäischen Geschichte zu vergleichen. Vielleicht ließe sich ja aus der Geschichte lernen, könnten frühere Erfahrungen neu bedacht werden, zum Nutzen und Vorteil auch der jetzt lebenden Generation. Denn daß die heutigen sozialen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse möglicherweise doch nicht so ganz ohne historische Parallelen sind, wie es vielfach unterstellt wird, scheinen selbst die Verfasser des europäischen Memorandums zu erahnen: Ohne diesen Zusammenhang näher zu illustrieren oder zu erklären, wird dort nämlich beiläufig behauptet, daß Europa heute einen Wandel erlebe, dessen »Ausmaß« allenfalls mit dem der - Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzenden - »industriellen Revolution« zu vergleichen sei.
Tatsächlich schlägt dieser nur vage angedeutete Vergleich zwischen unserer Zeit und dem 18. Jahrhundert eine sehr hilfreiche Brücke vom 21. Jahrhundert ins Zeitalter der Aufklärung - und eröffnet damit höchst interessante Perspektiven. Denn, so kurios es zunächst klingen mag, die heutigen Aufrufe zum lebenslangen Lernen mit ihrer effektvoll vorgetragenen Begleitmusik immer neuer Bildungsprogramme sind so neuartig nicht: Schon vor 300 Jahren, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, begannen die führenden Pädagogen und hellsichtigsten Lehrer Europas ihre Regierungen und Mitbürger mit einer derartigen Vehemenz und mit einem solchen Erfolg auf die gesellschaftliche Bedeutung des Lernens, der Bildung und der Erziehung aufmerksam zu machen, daß dieses Säkulum schon von den Zeitgenossen als »unser pädagogisches Jahrhundert« tituliert und gefeiert wurde.
Wohl ohne Übertreibung läßt sich sagen, daß in der uns bekannten Geschichte der Menschheit kaum eine Epoche so sehr von der Bedeutung des Lernens erfüllt war wie das Zeitalter der Aufklärung. Viele der bildungspolitischen Ziele dieses lernbesessenen Jahrhunderts entsprachen den heutigen Forderungen nach einer größtmöglichen Stärkung der gesellschaftlichen Leistungsfähigkeit bereits voll und ganz. Denn der Wunsch, effektiv, flexibel, wettbewerbsfähig und wirtschaftlich erfolgreich zu sein, war dem 18. Jahrhundert keineswegs fremd. Immerhin veröffentlichte Adam Smith, der Wegbereiter des Kapitalismus und Begründer der Theorie der Marktwirtschaft, sein wirtschaftswissenschaftliches Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen schon 1776. Er selbst konnte zu diesem frühen Zeitpunkt auf etliche moderne, von ihm favorisierte ökonomische Praktiken verweisen, die bereits seit der Wende zum 18. Jahrhundert in der Ausbreitung begriffen waren.
Allerdings argumentierten die überzeugendsten und kompetentesten Verfechter eines gesteigerten gesellschaft-lichen Lernwillens damals im Grunde völlig anders als die Mehrheit der heutigen Bildungspolitiker. Denn gerade den pädagogisch ambitioniertesten und einflußreichsten Aufklärern ging es zuerst und wesentlich darum, das Lernen als eine große Verheißung darzustellen: Verheißungsvoll schien ihnen die Aktivität des Lernens deswegen zu sein, weil, wie sie feierlich postulierten, der Mensch nur durch seine beständige Weiterbildung dazu befähigt würde, die in ihm angelegten intellektuellen und emotionalen Möglichkeiten zur vollen Entfaltung zu bringen, sein Leben sinnvoll zu meistern und damit seiner Bestimmung gerecht zu werden: Erst als ein sich über seine Welt immer neu verständigender Lernender würde sich der Mensch seines Daseins so recht erfreuen können.
Freude , dazu auch Lust, Verlangen und Liebe: Das sind die wichtigsten Stichworte, mit denen jene im 18. Jahrhundert so lebhaft geführte Debatte über die Bedeutung des Lernens angestoßen wurde - und zwar zuerst und vor allem durch die Schriften des großen englischen Philosophen, Arztes und Hauslehrers John Locke. In seinem bereits 1693, also an der Schwelle zum neuen Säkulum veröffentlichten Buch Some thoughts concerning education sprach zwar auch er davon, daß ein stetes Lernen von großem Nutzen für das bürgerliche Leben sei. Doch in der Hauptsache hob Locke hervor, daß das Lernen - ganz ungeachtet seines möglichen Nutzens für die Sicherstellung des beruflichen Fortkommens und des persönlichen Wohlstandes - bereits an und für sich ein unend liches Vergnügen und ein unvergleichlicher Genuß sei. Lernen bedeutete für Locke vor allem, zweckfrei nach beglückender Erkenntnis und nach persönlicher Erfüllung zu streben.
Dieser von Locke vorgegebene Tenor des glücklichen Lernens prägte den Diskurs und das Schrifttum über Bildung und Erziehung im Europa der Aufklärung wie kein zweiter Text. Sogar der Königsberger Philosoph Immanuel Kant, der das Lernen nach Ablauf des 18. Jahrhunderts als einer der letzten großen Aufklärer dieser Epoche auch als Pflicht beschrieb - und in seinem 1803 publizierten Buch Über Pädagogik betonte, daß ein gewisser 15 Zwang bisweilen nötig sei, um den Menschen von dieser Pflicht zu überzeugen -, verstand das Lernen dennoch nicht als freudlose Angelegenheit. Im Gegenteil: Wie Locke wußte er und hielt daran fest, daß das beständige Lernen - auch wenn es in gewissen Momenten nicht ohne Einsatz einer gehörigen Portion Selbstdisziplin auskommt - ganz wesentlich als überaus köstliches Spiel des Witzes zu begreifen war, das höchsten Genuß versprach. Daß das Lernen geistige Freuden ganz besonderer Art bereithielt, stand somit selbst für Kant außer Frage. Deshalb wurde er auch nicht müde, die Lust, die durch die intellektuelle und kreative Tätigkeit des Lernens bereitet wird, in seinen pädagogischen Schriften an exponierter Stelle zu thematisieren und als ein großes Glück zu beschreiben.
Im Vergleich zu den viel zu technokratischen und immer von einem eigenartigen wirtschaftswissenschaftlichen Jargon durchzogenen Bildungsprogrammen der heutigen Zeit nahm sich das Vokabular der pädagogisch interessierten Aufklärer also allemal lustbetonter, fröhlicher und leidenschaftlicher aus. Und wenn an dieser Stelle ganz allgemein von den Aufklärern die Rede ist, dann geschieht das weder unüberlegt noch zu unrecht verallgemeinernd, sondern aus der festen Überzeugung heraus, daß alle führenden Aufklärer des 18. Jahrhunderts - trotz mancher Unterschiede im Detail - jene fundamentale, von Locke übernommene pädagogische Auffassung einte , derzufolge man Kinder und Erwachsene überhaupt nur dann für das beständige Lernen würde motivieren können, wenn man ihnen den permanenten Wissenserwerb zunächst als eine der ursprünglichsten menschlichen Freuden erfahrbar gemacht hatte. Wegen dieses einen gemeinsamen pädagogischen Bezugspunktes wurde Lockes Schrift Some thoughts concerning education auch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ganz ausdrücklich als »Urquelle« aller Erziehungsentwürfe und Lernprogramme des Zeitalters der Aufklärung verehrt und gefeiert.
Wer immer also heute ein echtes Interesse daran hat, das Lernen - und erst recht das lebenslange Lernen - als ein für alle verbindliches gesellschaftliches Ziel zu deklarieren, ist gut beraten, sich mit möglichst unbefangener Neugier den wichtigsten Aufklärern des 18. Jahrhunderts zuzuwenden, um von ihnen Rat und Weisung auch für pädagogische Fragen unserer Zeit einzuholen. Denn die von diesen Lehrern, Schulmännern, Philosophen und Publi zisten im Verlauf eines pädagogisch bewegten Jahrhunderts gemachten Erfahrungen sind viel zu bedeutsam, um dem Vergessen überantwortet zu werden. Sie können somit - übrigens auch im Unterschied oder in Ergänzung zu den jetzt immer populärer werdenden neurobiologischen und kognitionspsychologischen Deutungen des effektiven Lernens - als wertvolles bildungshistorisches Korrektiv verstanden werden. Deshalb wollen sie auch sorgsam bedacht sein, wenn die heutigen Appelle an die ständige Lernbereitschaft der Menschen fruchten und eine segensreiche Wirkung entfalten sollen.
Bei der erwünschten Hinführung zu den zentralen pädagogischen Einsichten der Aufklärer will der nun folgende narrative Essay auf seine eigene Weise einen besonderen Beitrag leisten. Erzählt und vorgestellt werden soll das erziehungsreformerische Bemühen des Zeitalters der Aufklärung nämlich im Folgenden als Geschichte des pädagogischen Denkens und Handelns von elf bedeutenden Persönlichkeiten, die sehr entscheidende und für ihre Epoche ganz und gar repräsentative Akzente im damals leidenschaftlich geführten Diskurs über das Lernen setzten: John Locke, Joseph Addison, Hermann Samuel Reimarus, Johann Jakob Bodmer, Christian Fürchtegott Gellert, Benjamin Franklin, Jean-Jacques Rousseau, Johann Bernhard Basedow, Moses Mendelssohn, Mary Wollstonecraft und Immanuel Kant.
Sie alle, zehn Männer und eine Frau, zehn Christen und ein Jude, zehn Europäer und ein Amerikaner - die auch in diesem Zahlenverhältnis die pädagogische Avantgarde des 18. Jahrhunderts getreu repräsentieren - betätigten sich nicht nur ohne Ausnahme als Lehrer, Dozenten und in manchen Fällen sogar als Schulgründer, sondern beschrieben in ihren stilistisch meisterhaften Schriften zugleich elf für das Lernen bedeutsame Eigenschaften, die sich bis heute geradezu als Tugendkatalog des vergnüglichen und erfolgreichen Lernens lesen: Neben der immer wachzuhaltenden Lernlust, also der natürlichen Wißbegierde , sind dies das Training einer genauen Anschauung , der rechte Gebrauch der Vernunft , die Schulung der Einbildungskraft , das Beherzigen von Aufrichtigkeit , der Anspruch auf Gemeinnützigkeit , das Kultivieren von Mitgefühl , das Einfordern von Toleranz , Tröstung durch Gottvertrauen , der Kampf um Chancengleichheit und der Zwang zur Selbstdisziplin . Als gute Pädagogen wußten sie eben sehr genau, daß es beim Lernen nicht um das bloße Sammeln von Fakten geht, sondern um den Erwerb von Einstellungen und Haltungen, Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie um Ausdauer und Freude
Indem sowohl das allgemeine erzieherische Wirken der ausgewählten elf Aufklärer wie auch die von ihnen gesetzten besonderen pädagogischen Akzente nun in elf einzelnen, von Dekade zu Dekade fortschreitenden Kapiteln dargestellt werden, läßt sich überdies jedes Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in seiner ganzen Eigenheit auf pädagogischem, politischem und ökonomischem Gebiet ausführlich betrachten. Da jedes Kapitel zudem einen ganz bestimmten Ort vorstellt, an dem die Protagonisten dieser Erzählung entweder hauptsächlich tätig waren oder ihre wichtigsten Texte verfassten, vortrugen und veröffentlichten, kann sich der Leser zugleich ein Bild von einigen der wichtigsten Stätten der europäischen und amerikanischen Aufklärung und von den dort entwickelten Grundgedanken klassischer Pädagogik machen.
Schließlich wird in jedem Kapitel jeweils ein zentraler Text der behandelten Aufklärer in aller Ausführlichkeit gewürdigt und interpretiert, so daß sich am Ende des Buches so etwas wie ein Kanon der wichtigsten pädagogischen Schriften des 18. Jahrhunderts extrapolieren läßt. Die Kenntnis dieses Kanons - der unser unaufgebbares pädagogisches Erbe der Aufklärung ausmacht - sowie das Wissen um die historischen Umstände, die zu seiner Entstehung führten, sollte dann dazu beitragen, daß auch wir Heutigen das Lernen wieder viel stärker als große Verheißung betrachten, also als einen vielversprechenden Weg zur Entfaltung der in uns allen angelegten intellektuellen und emotionalen Möglichkeiten, den wir - ungeachtet aller ökonomischen Fragen, Problemen oder Zwängen unserer Zeit - fröhlich und guten Mutes beschreiten dürfen.
Die von den Druiden vertretene Moral etablierte also ein kluges und dauerhaftes Gleichgewicht zwischen den drei wichtigsten sozialen Gruppen. Sie ermöglichte es, den größten Teil der Aristokratie auf ihre militärischen Aufgaben einzuschwören und sie so mit mehr oder weniger großem Nachdruck davon abzuhalten, sich mit Politik zu beschäftigen oder lukrativere Tätigkeiten ins Auge zu fassen (Handel, Wucher usw.). Den Bauern, die an den Vorteilen der großen Staatsentscheidungen, der kriegerischen Aktionen, der Bündnisse und Umsiedlungen kaum partizipierten, bot die Moral der Druiden die hoffnungsvolle Perspektive auf ein besseres Leben. Und sie stützte und stärkte die drei Arten von Macht, die die Druiden ausübten: die spirituelle, die geistige und die politische Macht.

Klett-Cotta
1. Aufl. 2009, 272 Seiten, Gebunden
ISBN: 978-3-608-94171-5
autor_portrait

Jürgen Overhoff

Jürgen Overhoff, geboren 1967 in Lippstadt, studierte in Berlin, London und Cambridge Neuere Geschichte, Evangelische Theologie, Philosophie und ...

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