"Wer ist überhaupt Anna Blume?" fragt Christof Spengemann (1877-1952), Freund und einer der frühesten Anhänger und Verteidiger der Kunst von Kurt Schwitters, 1919 in seinem Geleitwort zur Erstveröffentlichung von Anna Blume . Es ist eine rhetorische Frage, und als Antwort wird offenbar dem, der sie stellt, "Verbogenes Hirn!" entgegengeschleudert. Es heißt also sein Hirn verbiegen, wirft man die Frage erneut auf. Denn so wahr hinter Schwitters´ Anna Blume eine tatsächliche Anna Blume steht, so wenig hat diese für ihn zu besagen. Er kennt sie nicht einmal. Er liest sie lediglich auf. Sie war ihm ein Zufallsfund: Bubengeschmier, Kinderspott. Schwitters aber, groß im Aufheben, mischt diese Anna Blume wie rostigen Draht, Trambahnfahrscheine und dergleichen − zunächst − in eines seiner Merzbilder . Auch das war 1919. Für diese Genese dient uns Spengemann als Zeuge, der 1919 (was für ein Aufbruchsjahr!) im Cicerone einen frühen Aufsatz über Kurt Schwitters publiziert und gerade damals engen Kontakt mit dem Künstler hatte. "Bald nach der Entstehung jenes Aufsatzes sah ich bei Schwitters ein neues Merzbild. Quer darüber waren die Worte geschrieben ´Anna Blume hat ein Vogel´", berichtet er in seiner kleinen Schrift Die Wahrheit über Anna Blume . Freilich enthält diese Publikation keineswegs die Wahrheit über jene Anna Blume, der wir hier nachfragen, vielmehr ist Anna Blume da schon zum Gedicht, zum Begriff geworden, immer weiter ausstrahlend, sowohl angebetetes Liebesobjekt mit Vogel als auch Prinzip der Schwittersschen Kunst, das Spengemann in seiner kleinen Publikation erörtert. So interessant dies auch ist, interessiert es hier nicht weiter, weil es von jener Anna Blume weg- und hin zu Kurt Schwitters führt. Kaum gestellt, war nämlich Spengemanns Frage, wer überhaupt Anna Blume sei, sogleich vernachlässigt worden. Im weiteren unendlich zitiert, sah sich die Heldin im Handumdrehen um ihre historische Existenz gebracht. Wir könnten sie kaum sinnvoll weiter verfolgen, hätte nicht Spengemann als Augenzeuge ganz nebenher auch die Lösung verpackt. Bei der Arbeit an jenem Bild nämlich, bemerkt er als Berichterstatter, fielen Schwitters jene Worte ein, "die er an einer Planke gelesen hatte". Ein Graffito also. Für den Tag gedacht, das Jahrhundert überdauernd. Von einer Planke wechselte Anna Blume in die Geistesgeschichte hinüber.
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