MERKUR

Heft 12 / Dezember 2011

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Uwe Simson

Feststellungen zu Migration, Ethnizität, Integration

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Zitate:

Das Reservoir der Armutsmigranten ist unerschöpflich. Von den Medien wird uns das Problem fast nur in der Form des effektvoll inszenierten Einzelfalls präsentiert: der Flüchtling, der vor Lampedusa aus dem maroden Fischerkahn gerettet wird oder aus Deutschland abgeschoben werden soll und dem man unbedingt helfen muss. Der Unterwasserteil des Eisbergs bleibt dabei unsichtbar, nämlich die Menge der potentiellen Migranten. Der weitaus größere Teil der Weltbevölkerung könnte seine Lage durch Übersiedlung in die Industriegesellschaften dramatisch verbessern, und immer mehr Menschen erkennen darin den Königsweg zur schnellen Überwindung der Armut. Bisher hat nur ein kleiner Bruchteil diese Option tatsächlich ergriffen (obwohl schon ein beträchtlicher Prozentsatz der Nordafrikaner in Europa sesshaft geworden ist), aber in welche Richtung die Entwicklung bei Freizügigkeit führen würde, zeigt Griechenland, ein Land, in dem die Armutsmigration früher als anderswo eingesetzt hat − heute ist sie fast zur sozialen Norm geworden. So kann der Tourist auf der kleinen ägäischen Insel Nisos erfahren, dass heute die Mehrzahl der Nisioten in New York lebt, weitere Gruppen in Toronto und Melbourne. Das geht so weit, dass Griechen, die noch in ihrem Heimatland angetroffen werden, für diese erstaunliche Tatsache eine sorgfältige Erklärung bereithalten. Die Griechen sind heute, überspitzt ausgedrückt, keine territorial definierte Nation mehr, sondern eine Minorität der OECD-Länder; im südlichen Balkan wird eine (schlecht regierte und schlecht verwaltete) Fluchtburg unterhalten, die ihrerseits durch das von außen einströmende Geld zum Ziel für Armutsmigranten geworden ist.

Es gibt zur Schließung der Grenzen keine Alternative. Der Migrationsdruck ist so stark, dass bei Wegfall der Zuzugsbeschränkungen jedes EU-Land seine Einwohnerzahl wahrscheinlich in kürzester Zeit verdoppeln könnte; die Folgen für Infrastruktur und Sozialsysteme (und für das friedliche Zusammenleben) brauchen nicht im Einzelnen ausgeführt zu werden. Die von verschiedenen Seiten ins Gespräch gebrachte Einwanderungsquote könnte das Problem nicht lösen, denn auch eine noch so großzügig dimensionierte Jahresquote wäre am 5. Januar ausgebucht, und alle, die nicht in ihren Genuss kommen, würden es doch wieder über Lampedusa versuchen. Für einzelne Individuen wird sich die Armut wohl weiterhin durch Umzug in eine reiche Gesellschaft überwinden lassen − für die Bevölkerung der Armutsregionen nur dadurch, dass Wohlstand im Heimatland herbeigeführt wird. Wenn verstärkte Entwicklungshilfe vorgeschlagen wird, dann ist allerdings zu bedenken, dass erstens die Zeiträume, die für wirkliche Entwicklungserfolge zu veranschlagen sind, den ungeduldigen jungen Männern überhaupt nicht gefallen werden, so dass weiterhin die Auswanderung alle Phantasien absorbieren wird, und dass zweitens die in langen Jahrzehnten und mit Finanzmitteln in vielfacher Milliardenhöhe betriebene Entwicklungspolitik in den Herkunftsregionen der Migranten messbare Erfolge fast ausschließlich im Gesundheits- und Bildungswesen gebracht hat: Die Armut wurde nicht beseitigt, die Armen sind aber jetzt zahlreicher als vorher und wissen über die Vorzüge des Lebens im Westen besser Bescheid.

MERKUR Jahrgang 65, Heft 751, Heft 12, Dezember 2011
broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Karl Heinz Bohrer, Kurt Scheel, Michael Rutschky, Jonathan Keates, Kathrin Passig, Horst Dreier, Giles MacDonogh, Gerhard Henschel, Uwe Simson, Egon Flaig, Hans Ries, Ulrich Schacht,


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