MERKUR

Heft 12 / Dezember 2011

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Giles MacDonogh

Meister der Staatskunst . Alte und neue Bismarckbiographien

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Zitate:

Die Nazis hatten ein gestörtes Verhältnis zum Eisernen Kanzler. Zweifellos wollten sie ihn auf ihrer Seite haben, und ihre Propaganda reiht ihn unter die beiden anderen Propheten der Bewegung ein: Friedrich den Großen und Hindenburg. Bei näherer Betrachtung fügte sich Bismarck allerdings nicht zwingend in die Rolle, die ihm Hitlers Propagandisten zugedacht hatten − ebenso wenig wie Friedrich und Hindenburg. Die Deutschen konnten 1940 sehen, wie der Reichsgründer die Filmleinwand beehrte. Paul Hartmann spielt die Hauptrolle in Bismarck , bei dem Wolfgang Liebeneiner die Regie führte. Hartmann passt äußerlich zur Rolle, und es werden große Brocken von identifizierbaren Bismarckzitaten aufgeboten, doch ist die historische Darstellung trotzdem subtil verzerrt. Von Beginn an weiß Bismarck genau, was er will: "Unser Ziel ist Deutschland!", und der einzige Weg, das zu erreichen, besteht in der Schaffung einer mächtigeren Armee. Eine Menge Bösewichter tauchen auf und versuchen, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen: der Liberale Virchow, die "englische" Kronprinzessin und ein schleimiger Napoleon III., der Entschädigung in Form des linken Rheinufers verlangt. Und Bismarck weiß, was er nicht will: das ganze Gesindel von Nationen, aus denen das Habsburgerreich bestand. Der Film endet effektvoll mit der Niederlage Österreichs bei Königgrätz. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber bei seinen letzten Äußerungen scheint Hartmann plötzlich mit österreichischem Akzent zu sprechen. Liebeneiner versuchte sich 1942 noch einmal an dem Thema. Diesmal übernimmt Emil Jannings die Rolle. In Die Entlassung ist der Feind Kaiser Wilhelm II., der im Sommer zuvor in Doorn gestorben war. Vielleicht fürchtete Goebbels drei Jahre nach Kriegsbeginn den Popularitätsschub für die alten Königshäuser? Wir hören, dass Bismarcks Staatssozialismus auf den Nationalsozialismus vorausgewiesen habe, doch Bismarck als Vorläufer von Hitler funktioniert trotzdem nicht recht. Bismarck weigert sich, das "Führerprinzip" anzuerkennen: Er opponiert gegen seine Herren, leistet Widerstand und verweigert den Gehorsam. Er tritt auch für einen Rückversicherungsvertrag mit Russland ein, nicht zuletzt deshalb, weil es nicht sinnvoll ist, Feinde zu seiner Linken und seiner Rechten zu haben. Es ist der Kaiser, der Streit mit Russland sucht, er ist der Schurke des Stücks. Außerhalb der Kinosäle des Reichs war Nazideutschland bereits in einen Kampf auf Leben und Tod mit der Sowjetunion verstrickt. Bismarck kann sich nicht durchsetzen, und der Kaiser entlässt ihn. Bismarck kann nur beklagen, dass sein Werk, die Bewahrung Deutschlands, von einem eigensinnigen und ungeeigneten Kaiser zerstört worden ist: "Es war ein Anfang. Wer wird es vollenden?"

MERKUR Jahrgang 65, Heft 751, Heft 12, Dezember 2011
broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Karl Heinz Bohrer, Kurt Scheel, Michael Rutschky, Jonathan Keates, Kathrin Passig, Horst Dreier, Giles MacDonogh, Gerhard Henschel, Uwe Simson, Egon Flaig, Hans Ries, Ulrich Schacht,


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