Vom sicheren Ufer aus dem Schiffbruch (dem Unglück) anderer Leute zuschauen, der berühmte, vielfach verwendbare Topos eignet sich auch zur Beschreibung der Zeitungslektüre. In der Nacht zum Samstag, schreibt der Tagesspiegel , stürmte ein Mob in der ägyptischen Hauptstadt Kairo die israelische Botschaft. Drei Tote, über tausend Verletzte, Netanjahu nannte den Vorfall eine "gravierende Verletzung in dem Gewebe des Friedens mit Israel", doch werde sein Land am Friedensabkommen von 1979 festhalten. Only bad news is good news. Das betrifft zunächst die Wallungswerte der Nachricht, drei Tote, über tausend Verletzte, ein Kriegszustand im Kleinen, den im Großen der israelische Premierminister absagt. Aber dann muss man den Leser eintragen, der morgens daheim beim Frühstückskaffee oder im Café beim notorischen Cappuccino cum Croissant die schlechte Nachricht entgegennimmt. Er befindet sich am sicheren, am fernen Ufer, während dort draußen Ägypten und Israel, der Mob, die Angehörigen der israelischen Botschaft in Kairo auf hochwogigem Meer mit tobenden Leidenschaften kämpfen. Sie erreichen den Zeitungsleser nur in stark verdünntem Zustand, genauer: Sie mögen ihn in großer Stärke erreichen, aber das Lesen − im Café, am Frühstückstisch − schaltet die Motilität, die körperliche Handlungsbereitschaft aus. Kein Leser des Tagesspiegel legt stiekum die Zeitung nieder und macht sich nach Kairo auf, damit er an den Kämpfen um die israelische Botschaft persönlich teilnehmen kann. Sie sind heute, da er die Zeitung liest, ohnehin längst vorüber. Der Zeitungsleser ist wie der Schläfer, der sich im Traum den heftigsten Affekten ausgesetzt sehen mag. Aber er schläft. Der Vergleich trägt sogar noch einen Schritt weiter. So wie dem Traum eignet der Zeitungsnachricht ein Wirklichkeitseffekt, der Lynchmob in Kairo ist keine Erfindung der Imagination. Es geht nicht um das Lesen von Romanen.
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