Zitate aus dem Septemberheft, Nr. 808, 2016
Die Reformation Heinrichs VIII. war der erste Brexit. Das
Gesetz, das 1532 die Loslösung Englands aus dem römischen
Kirchenverband in die juristische Tat umsetzte, trug den Titel »An
Act in Restraint of Appeals«. Wie das Parlament den Untertanen des
Königs verbot, in ihren Rechtsstreitigkeiten an den Papst zu
appellieren, soll heute durch den Austritt aus der EU der britische
Gesetzgeber von der Aufsicht der europäischen Gerichtshöfe befreit
werden.
Patrick Bahners, Parlamentarischer Imperialismus
Um in der
NBA ganz oben zu stehen, muss man zunächst eine Weile sehr schlecht
sein. Je mehr man verliert, umso größer sind die Chancen, am Ende
der Saison den nächsten Superstar ins Team zu holen. Verlieren ist
zwar keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung für den
späteren Erfolg. Während man in europäischen Sportligen die
Verlierer am Ende der Saison mit dem Abstieg bestraft, werden die
schlechten Mannschaften in der NBA mit den besten Talenten des
jeweiligen Jahres belohnt. Deshalb sind auch die schlechtesten Teams
nie ohne Hoffnung.
Aleks Scholz, Der Prozess: Die Supertanker von Philadelphia
Auf das Leben
in der schwulen Welt ist niemand von Haus aus vorbereitet, hier
existiert insofern Gleichheit, als alle voraussetzungslos lernen
müssen, wie eine zugewiesene Identität verkörpert werden kann.
Aufstieg aber bedeutet Eintritt in eine Welt, deren Regeln von jenen,
die in sie hineingeboren wurden, längst verinnerlicht worden sind,
während nur der Aufsteiger sie sich durch Nachahmung erst noch
aneignen muss, was nie vollständig gelingt, weshalb sich für ihn
die Scham der falschen Herkunft permanent erneuert. Mit der Scham
über diese Scham beginnt Eribon sein Buch, mit der simplen Frage:
Warum sprach ich und warum sprachen so viele andere Intellektuelle in
den vergangenen Jahrzehnten nicht mehr öffentlich von der
Materialität der Armut und der Gewalt sozialer Reproduktion?
Dirck Linck, Die Politisierung der Scham
Pastorale und Arbeitsalltag können zumindest sprachlich
aufeinandertreffen, weil die demokratische Kultur – genauer: die
Kultur der New-Deal-Demokraten unter Roosevelt – die Grenze
zwischen beiden geschleift hat. Durchaus ein Blick ins Paradies, aber
ein Paradies, das sich politischer Anstrengung verdankt, die Ira
Gershwins Song würdigt. Sprache, Dichtung, Demokratie: Diese drei
Bereiche miteinander verkoppelt zu haben, darin besteht meiner
Meinung nach die Quintessenz des Great American Songbook, sein
bleibendes Verdienst und sein wichtigster Beitrag zur
Gegenwartskultur.
Jonathan Freedman, The Great American Songbook
Wie viel Rotznasenrotz ist schon über
Versanfängen geronnen, verklebte jäh die Federspitze, besudelte das
Schreibmaschinenband und zerschoss und verstümmelte die Schrift und
sickert jetzt zwischen die Tasten, man mag es sich kaum ausmalen. Wie
viel poetischer Furor wurde schon im Windelgeruch erstickt, wörtlich
also im Keime, und schaffte es nicht einmal in den Eimer? Wie viele
nervtötende Kinderliedohrwürmer verspuken uns täglich die Jamben
und Trochäen, verpesten das Hirn in zerpavorten Nächten mit
irrlichternden Wiederholungssalven?
Dagmara Kraus, » ... grammatickt mamal aus ... «
Die moralische
Forderung, die an den Einzelnen gestellt wird, ist eindeutig: Nur wer
subtil und komplex zu hören vermag, wer sich von ungehörigen
Anforderungen und dem nervösen Getriebe der Welt nicht aus der Ruhe
bringen lässt, der ist dem hochbeschleunigten Leben der Moderne mit
all seinen Verführungen, Apparaturen und unterhaltungssüchtigen
Perversionen gewachsen oder gar überlegen. Kurz gesagt: Wer lerne,
besser zu hören, der sei ein besserer Mensch. Dieser Moralismus
einer vom Individuum zu leistenden Selbstoptimierung gebiert eine Art
sensorischen Pietismus: einen Audiopietismus.
Holger Schulze, Klangkolumne. Resonanz
Arbeit ist also
gewissermaßen um Technik herum strukturiert, und es steht nicht zu
erwarten, dass sich dies in naher Zukunft grundlegend ändert.
Technische Systeme, Installationen, Infrastrukturen werden mit
zunehmender Komplexität tendenziell kontrollbedürftiger,
störungsanfälliger, wartungsintensiver. Neue Technik wird so zur
Quelle neuer Arbeit.
Roman Köster, Ökonomiekolumne. Technologische Arbeitslosigkeit
Wenn man
die Situation in der alten Bundesrepublik um 1968 mit der in den
Vereinigten Staaten vergleicht, ist der Unterschied frappierend: Gore
Vidal prügelt sich im Fernsehen und muss sich als »queer«
beschimpfen lassen; Truman Capote lispelt sich durch
Fernsehinterviews und ist selber Stoff für Cover Storys; James
Baldwin bestimmt von Frankreich aus den Diskurs um die Rassenfrage.
Allen Ginsberg stimmt in Chicago unter Tränengas sein Om an, William
S. Burroughs berichtet darüber für Esquire. In Deutschland derweil: nichts
dergleichen.
Adrian Daub/Samuel Huneke, Die unsichtbare Tradition
Wie
wenig das Gesetz eine deutschtraditionalistische Engführung im Sinn
hat, zeigt schon der Automatismus bei öffentlichen Sammlungen, deren
Rubens´, Velazquez´, Monets und Picassos ebenso in das nationale
Kulturgut eingemeindet werden wie altmesopotamische, altägyptische
oder afrikanische und asiatische Kulturgüter deutscher Museen. Wenn
aber – abgesehen davon, dass sie sich heute auf deutschem Boden
befinden müssen – keine intrinsische Anbindung der als national
wertvoll auszuzeichnenden Kulturgüter an die deutsche Geschichte und
Geistesgeschichte vorausgesetzt wird, bleibt als wesentliche
Anknüpfung in den meisten Fällen nur übrig, dass sie einer
hiesigen Sammlung angehören.
Andreas Zielcke, Künstliche Assimilation
Doch vielleicht ist diese Doppelbelichtungsreihe
gerade wegen der technischen Fehlleistung wirklichkeitshaltiger, als
es jede der beiden Serien für sich alleine je hätte werden können.
Die unbeabsichtigte Zusammenschau von Küchenschweiß und Partylaune,
von Schuften und Schäkern scheint die Arbeitswelt ... genauer zu
treffen als das, was in einer Werbebroschüre für Kochberufe oder in
einem Familienalbum davon übrig geblieben wäre. Die zufällige
Überlagerung der beiden Sphären führt zu einer Verdichtung, die
wir sonst nur vom Traum kennen, einschließlich der für Traumbilder
charakteristischen Mehrdeutigkeit.
Harry Walter, Doppelbelichtungen
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