MERKUR

Heft 09/10 / September 2011

Sag die Wahrheit! Warum jeder ein Nonkonformist sein will, aber nur wenige es sind.

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Reinhard Steiner

Der Bravo . Erscheinung und Habitus der Verwegenheit

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Zitate:

Wer der Generation der um 1950 Geborenen angehört und 1968 noch ein wenig zu jung war, um zum echten politischen Rebellen zu werden, aber alt genug, um sich wenigstens äußerlich mit den Insignien des Nonkonformismus erkennbar auszuzeichnen, bediente sich des Kostüm- und Maskenfundus der Hippies; er trug nicht nur Klamotten, deren malerische Patchworkbuntheit jedermanns Auge blendeten, er trug lange, sehr lange Haare, die mit dem im Grunde ja furchtbar ordentlichen Pilzkopf der Beatles gar nichts gemein hatten. Und wer dann auch noch von seinem Vater oder sonst einem ehrbaren Bürger die hart erkämpften Beschimpfungen − langhaariger Affe, Zigeuner, geh doch zuerst zum Friseur − hören durfte, der hatte eine Erfahrung gemacht, die ihn adelte. Er konnte glauben, es geschafft zu haben, endlich nicht mehr der Gesellschaft anzugehören, der er mit seinem Outfit Hohn sprach. Lange Haare, Haartrachten generell, galten schon seit je als symbolisch hochcodierte Ausdrucksmedienmenschlicher Erscheinung, ihr Verlust nicht nur als Folge von Alter und Krankheit, sondern etwa in der mönchischen Tonsur als Verzicht auf weltliches Gepränge und Eitelkeit. Lange Haare trugen Naturapostel genauso wie vornehme höfische Perückenträger, Softies so sehr wie wilde Männer, deren Triebhaftigkeit oder Kampfesmut in der ungebändigten Fülle ihres Haupthaars sichtbar wurde. In ihrer so körperlich individuellen wie unfest fliegenden Zierform sind sie unter allem Beiwerk, wie es Aby Warburg charakterisierte, ein besonders expressives. Und das trifft in einer unerwarteten Weise auch für den Bravo zu, eine Figur, in der sich historisch wie in der literarischen Fiktion einige signifikante Motive des Außenseitertums zu einem nahezu kritischen Typus verdichten. Allerdings nicht in der bloß modischen oder zur Mode verkommenen Form eines "Konformismus des Andersseins", nicht als Markenzeichen, sondern sogar realiter als gewissermaßen funktionale Berufskleidung. Eine einschlägige Quelle dafür findet sich in Alessandro Manzonis Roman I promessi sposi , in neuer Übersetzung Die Brautleute betitelt.

MERKUR Jahrgang 65, Heft 748/749, Heft 09/10, September 2011
238 Seiten, broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Peter Bürger, Jörg Lau, Jürgen Kaube, Norbert Bolz, Gustav Seibt, Karl Heinz Bohrer, Henning Ritter, Ulrike Ackermann, Karin Westerwelle, Reinhard Steiner, Gerhard Neumann, Rainer Hank, Lothar Müller, Ute Frevert, Adam Krzemiński, Siegfried Kohlhammer, Hans Ulrich Gumbrecht, Jürgen Paul Schwindt, Christian Demand, Ingo Meyer, Joachim Fischer, Michael Rutschky, Harald Welzer, Sebastian Wessels, Heinz Bude, Kurt Scheel,


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