MERKUR

Heft 09/10 / September 2011

Sag die Wahrheit! Warum jeder ein Nonkonformist sein will, aber nur wenige es sind.

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Karl Heinz Bohrer

Der Mut zur Wahrheit: Hamlet

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Zitate:

Hamlet − der Außenseiter. Diese Identifikation ist buchstäblich wahr. Hamlet steht und sitzt immer am Rande der Gesellschaft, deren Prinz er ist. Er sitzt am Rande des Hofkreises. Und er geht außerhalb des Hofkreises. Wenn er nicht mit seinem Freund Horatio spricht, steht und geht Hamlet alleine, bevor ihn ein Mitglied des Hofes aufspürt. Schon diese physische Charakteristik weist auf die exzentrische Stellung Hamlets hin, bevor er sie ausspricht. Er ist der erste und berühmteste Außenseiter in unserer kulturellen Erinnerung. Gewiss gab es Außenseiter vor ihm, im richtigen Leben und in der Literatur. Aber erst Hamlets Theatralizität macht das Außenseitertum objektiv und historisch attraktiv, nicht zuletzt für die vielen Insider, die ihn seit vierhundert Jahren im Theater sahen und ihn zu einer Ikone ihres kulturellen Bewusstseins machten. Dass David Riesmans Unterscheidung zwischen Angepassten und Autonomen unter der Bedingung einer sogenannten außengeleiteten Gegenwart Ende der fünfziger Jahre für Intellektuelle so wichtig wurde − ähnlich wichtig wie der existentialistische Freiheitsbegriff oder negativ Arnold Gehlens zur gleichen Zeit veröffentlichter Essay Die Seele im technischen Zeitalter, eine Kritik des "auf sich selbst zurückgefallenen Innenlebens" −, das hat mit der Bedeutung dieser Präfiguration im europäischen, nicht zuletzt deutschen Geistesleben zu tun. Nonkonformisten sind meistens Außenseiter, aber nicht jeder Außenseiter ist ein Nonkonformist. Dieser Unterschied liegt im Umstand begründet, dass der Außenseiter erst nonkonformistisch wird, wenn er sein Außenseitertum, seine Abweichung von der konformen Meinung begründet. Und zwar nicht bloß als Ausdruck seines psychologisch-kognitiven Andersseins, sondern als ein Argument, das auf Dauer nicht bloß für seinen Sprecher gilt. Insofern impliziert das abweichende Angebot des Nonkonformisten immer auch eine mögliche zukünftige Konformität.

MERKUR Jahrgang 65, Heft 748/749, Heft 09/10, September 2011
238 Seiten, broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Peter Bürger, Jörg Lau, Jürgen Kaube, Norbert Bolz, Gustav Seibt, Karl Heinz Bohrer, Henning Ritter, Ulrike Ackermann, Karin Westerwelle, Reinhard Steiner, Gerhard Neumann, Rainer Hank, Lothar Müller, Ute Frevert, Adam Krzemiński, Siegfried Kohlhammer, Hans Ulrich Gumbrecht, Jürgen Paul Schwindt, Christian Demand, Ingo Meyer, Joachim Fischer, Michael Rutschky, Harald Welzer, Sebastian Wessels, Heinz Bude, Kurt Scheel,


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