MERKUR

Heft 08 / August 2010

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Michael Rutschky

Meine deutsche Frage . Aus dem Tagebuch 1990

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Zitate:

Freitag, 5. Januar, Wyk auf Föhr
Wir stehen auf einer Terrasse über der Bismarckstraße, es muss sich um die Deutsche Oper handeln; eine umfangreiche Gesellschaft, die irgendeinem offiziellen Ereignis beigewohnt hat. Heller Sommernachmittag. Plötzlich erhebt sich in unserem Rücken eine Art Ufo, ein Riesending, und segelt durch den blauen Himmel. Es könnte aus Star Wars stammen − oder aus meiner Kindheit, wie ich damals Ufos gebastelt habe, aus Kartons und Plastikdosen. Das Ufo überquert uns und verschwindet in Richtung Wilmersdorf, es hat zu taumeln begonnen und wird gleich abstürzen, wie ich nicht ohne Lust bemerke. Aber da steigt es wieder empor! Und kommt auf uns zu! Was mich so ängstigt, dass ich erwache.

Dienstag, 9. Januar, Berlin
Doch, sagt der Kunstkritiker fröhlich am Telefon, genau so habe er sich die Wiedervereinigung immer vorgestellt. Die ganze Zeit schon habe er Martin Walser mit seinen Wiedervereinigungsphantasien gegen Freunde und Freundinnen verteidigt. Dass die SED jetzt ihre Leute über "die Gefahr von rechts" zu mobilisieren versuche, sei doch typisch: Wer den Antifaschismus auspackt, will nur seine eigenen Privilegien verteidigen. Antifaschismus wird − bis in die SPD hinein − als ideologische Manövriermasse verwendet; niemand erkenne in den gegenwärtigen Prozessen irgendwo eine faschistische Gefahr. Der deutsche Nationalismus ist tot.

Samstag, 13. Januar, a. a. O.
Ich habe immer behauptet, dass das Brandenburger Tor zierlich sei − "wie das Weiße Haus" −, aber als wir jetzt hindurchgehen, kommt es mir monumental vor − "das könnte aber auch Die Historische Stunde sein". Es ist mit neuen Graffiti und alten Inschriften beschmiert; zwischen den Säulen gelblich gestrichene Flächen. Auf der anderen Seite, wo mich die beträchtlichen Vorbauten erstaunen, stellen sich immer wieder Leute in das Licht, das das Tor nächtens anstrahlt, um fotografiert zu werden. Später äußert Kathrin Befriedigung, weil ich sie, als wir hindurchgingen, nicht fragte, ob sie weinen möchte. Dabei hatte ich selber mit den Tränen zu kämpfen.

MERKUR Jahrgang 64, Heft 735, Heft 08, August 2010
broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Niels Werber, Remigius Bunia, Egon Flaig, Algis Valiunas, Michael Rutschky, David Wagner, Jens Bisky, Rainer Paris, Christian Demand, Thomas E. Schmidt, Eduard Kaeser, Bjørn Lomborg, Joel Malan,


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