Individuelle kreative Leistung ist unpopulär, stattdessen lobt man lieber "Schwarmintelligenz". Unter anderem eine solche Haltung zeigt eine neuerliche Krise des Individualismus an. Dieser besteht im Glauben an die Gleichheit aller Menschen, an den "polypotent" geborenen Menschen, dessen Entwicklung im Positiven wie im Negativen offen ist, der viel erreicht − oder der versagt. Die aktuelle Krise ist nicht die erste des Individualismus, der Demokratie, der Pluralität und der Diversität, der ganzen sogenannten westlichen Gesellschaft, wie sie sich in den letzten vierhundert Jahren entwickelt hat. Zu den früheren, radikaleren und weit brutaleren zählen Nationalsozialismus und Kommunismus. Aber die aktuelle Antipathie gegen den erfolgreichen Unternehmer, den herausragenden Wissenschaftler und den ungewöhnlichen Künstler ist ihnen doch verwandt. Es ist eine Krise der Gleichheit − aber keine bloß der finanziellen Ungleichheit. So richtig und wichtig Richard Wilkinson und Kate Pickett in Gleichheit ist Glück jüngst Probleme benennen, so gefährlich sind ihre materialistischen Lösungsskizzen. Denn nicht in der Ungleichheit der Einkommen, sondern in der Ungleichbehandlung unterschiedlicher Lebensentwürfe liegt die Ursache für die Spannungen, die wir beobachten; die materielle Ungleichheit ist eine bloße Folge. Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtung steht das Individuum im emphatischen Sinne. Dass es in seinen Entscheidungen und Vorlieben wirklich einzigartig ist, entpuppt sich als staatsnotwendige Fiktion, nicht weil erst jetzt das Datensammeln im Internet den Einzelnen berechenbar werden lässt. Sondern schon seit John Graunts Erfindung der Statistik und der Demoskopie 1662 und ausdrücklich seit Pierre Bourdieus Analyse des Geschmacks können Zweifel an der statistischen Gleichförmigkeit von Individualität nicht bestehen. Das Individuum ist nicht sonderlich "originär". Der Individualismus fordert vielmehr vom Einzelnen, auf die gleiche Weise wie die anderen anders als sie zu sein. Damit reduziert sich Individualität auf eine kontingente Kombination von Merkmalen, zu welchen Geschlecht, Hautfarbe, Musikvorlieben und Ausbildung zählen. Die Merkmale selbst sind dabei kollektiv. Die neuerliche Krise rührt daher, dass die Gleichheit in der Ungleichheit nicht mehr vorausgesetzt wird.
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