Seit dem Ende des Kalten Krieges macht die Bundeswehr einen Funktionswandel durch, wie er radikaler kaum ausfallen könnte: von der passiven Bündnisarmee, für die der "Frieden der Ernstfall" war, hin zu einer aktiven Einsatzarmee, für die in weltweiten Missionen immer mehr der Krieg zum Ernstfall wird. Dieser Wandel ist von der politischen Führung bis heute nicht eingeholt worden: Der Militärhistoriker Klaus Naumann spricht deshalb in seiner Studie Einsatz ohne Zeit? von der "Politikbedürftigkeit des Militärischen". Das berührt den wunden Punkt einer politischen Klasse, der es als Zumutung, ja als ein Zuviel an Staat erscheint, über die Anwendung militärischer Gewalt entscheiden zu müssen. Doch verdruckste Ausweichmanöver helfen nicht: Der Krieg bleibt eine Möglichkeit politischen Handelns, die niemand in Dialoge auflöst; und er ist in Sichtweite geraten. Im Rahmen von Nato und Uno kommen auf die Bundeswehr völlig neue Aufgaben zu: humanitäre Intervention zur Verhinderung von Völkermord, Marinepräsenz gegen Piraten oder Schutz Deutschlands vor terroristischen Angriffen. Mit dem herkömmlichen Begriff der Landesverteidigung hat dergleichen kaum noch etwas zu tun. Für welche Ziele aber deutsche Soldaten in den Kampf ziehen sollen, ist weitgehend unklar. Der Rücktritt von Bundespräsident Köhler warf ein Schlaglicht darauf: Seine Bemerkung über freie Handelswege, die militärisch zu sichern im Interesse einer großen Exportnation liegen könne, provozierte große Aufregung. Indes hatte das, was der Bundespräsident im Radiointerview andeutete − die Stabilisierung von Krisenregionen und die Sicherung lebenswichtiger Rohstoffe −, längst Eingang gefunden in eine präventive Strategie der Nato, die Sicherheit neu definierte. "Die herkömmliche Art und Weise, wie Deutschland über sich selbst spricht, wirkt zunehmend irreal", kommentierte Anne Applebaum, Kolumnistin der Washington Post (8. Juni 2010): "Es ist ein sehr starkes Tabu, das deutschen Politikern verbietet, das Militär in irgendeine Verbindung mit der Außenpolitik zu bringen." Amerikaner, so die Journalistin, "erliegen manchmal dem Trugschluss, jeder Konflikt habe eine militärische Lösung. Aber es ist ebenso kurzsichtig, so zu tun, als könne kein Konflikt jemals eine militärische Lösung erfordern − und gefährlich, nicht einmal darüber zu sprechen." Wohin man auch blickt in dieser so gereizten Debatte um Krieg und Frieden: allenthalben Gewissheitsverluste. Nur die "einzige deutsche Friedenspartei", Die Linke, hat es gut: "Deutsche Soldaten raus aus ... Afghanistan!" heißt die Parole. Diese Linke, offensichtlich unbelastet vom militaristischen Erbe der Nationalen Volksarmee, hat ja schon immer gewusst, dass der "Frieden nicht herbei gebombt werden kann"! Was einst, in den achtziger Jahren, zur Hochzeit der Friedensbewegung, Massen auf die Straße brachte, wird heute von kleinen Zirkeln verwaltet. Unterdessen ist das "Nie wieder Krieg!" erst richtig populär geworden, gut Zweidrittel der Deutschen sind für den Rückzug aus Afghanistan. Der "Nie-wieder-Pazifismus" ist ein Lebensgefühl und zehrt von Lehren aus der Nazizeit. Solche sind indes nicht ein für allemal zu ziehen, sondern müssen von jeder Generation geprüft werden. Was Krieg und Frieden anbelangt, ist es Landessitte, das Grundgesetz mit einer konstitutionellen Friedfertigkeit in eins zu setzen: ein Mantra, das ausländische Beobachter mitunter glauben macht, der Pazifismus sei per Verfassung beurkundet. Da ist es nützlich, sich deren Entstehungsgeschichte und die im Laufe der Zeit angelagerten Normschichten genauer anzusehen. Das Verhältnis von Krieg und Verfassung ist nicht so gemütlich, wie manche sich das vorstellen.
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