MERKUR

Heft 02 / Februar 2011

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Karl Heinz Bohrer

Der Skandal einer Imagination des Bösen . Im Rückblick auf »Die Wohlgesinnten« von Jonathan Littell

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Zitate:

Das dargestellte Böse stellt keinen identifikatorischen Akt her, sondern es provoziert die Phantasie zu einer unendlichen Kette von Vorstellungsbildern: Das Böse wird nicht ästhetisch attraktiv gemacht, sondern es wird imaginativ instrumentalisiert. Selbst eindeutige voyeuristische Lust am Schrecken − die antike Formel hierfür lautet "Schiffsuntergang mit Zuschauern" − meint keinen amoralischen Reizgewinn auf Kosten anderer, sondern die Ekstasis des Vorstellungsvermögens. Die Prominenz von Schlachtdarstellungen in Literatur und Malerei sind ein konventionellerer Beleg dafür. Dasselbe gilt für böse Theaterhelden à la Richard III. oder Eposhelden wie Miltons Satan: Ihr Böses enthält so viel ethisch attraktive Elemente, etwa Mut und Intelligenz, so dass die davon ausgehende Faszination keinem inhaltlich Bösen gilt, sondern abermals der Kapazität, Imaginationen auszulösen. Andererseits ist festzuhalten, dass der Charakter der "Imagination", ausgelöst von bösen Inhalten, nicht mehr jene innere Distanz impliziert, durch die seit Kants ästhetischer "Urteilskraft" grässliche Themen der Kunst rezeptionsästhetisch lizenziert worden sind. Das Reflexionspotential der Imagination und des Imaginären ist also nicht mehr über eine Souveränität des Subjekts und seines Selbstgenusses zu begründen, sondern muss in das böse Thema selbst verlegt werden, das heißt es lässt sich nicht mehr normativ funktionalisieren. Daraus folgt, dass das Imaginäre für unsere Frage wichtiger wird als die Imagination. Im Falle von Littells Roman wiegt das böse Thema so unendlich schwerer, dass es der Einsicht, es handele sich auch um ein imaginatives Verfahren, zweifellos im Wege steht. Nichtsdestotrotz ist dies der Fall. Nur dann, wenn man also die semantische Aktivierung des Bösen nicht als ästhetische Reizproduktion missversteht, sondern als Intensivierung unseres Vorstellungsvermögens, kann man Littells Roman eine Darstellung des Bösen, eine Imagination des Bösen nennen, die insofern ästhetisch ist, als ihr keine pragmatisch-moralische Nutzanwendung, sondern eine phantasmagorische entspringt. Die phantasmagorische Narratio des Romans als Ganzes bestätigt ein solches Urteil.

MERKUR Jahrgang 65, Heft 741, Heft 02, Februar 2011
broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Michael Rutschky, Dietmar Voss, Ernst-Wilhelm Händler, Karl Heinz Bohrer, Hansjörg Küster, Jürgen Osterhammel, Siegfried Kohlhammer, Horst Meier, Michael von Prollius, Gerd Ganteför, Erik Zyber, Hans Dieter Schäfer,


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